BUCHCOVER | REZENSION |
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ANDREAS FRANZ & DANIEL HOLBE –Der FlüstererDaniel Holbe plant wieder einen Kahlschlag, der die menschliche Rasse um etliches dezimieren wird. Die Opfer werden Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, dann aber mehr Bekannte und Freunde aus Julia Durants Umkreis, auch wenn so manche Beziehungen doch schon länger vor sich hin dümpeln. Klar, man hat ja, irgendwann, ein eigenes Privatleben, neben dem Job, und so manchmal geht da so manche Freundschaft auch auf Distanz. Wenn man Daniel glauben möchte, dann wundert man sich doch schon, dass die Weltbevölkerung über sieben Milliarden Individuen erreicht haben soll, gerade nachdem sich seine Gestalten von der Mörderfront wieder gemütlichen Gemetzeln hingeben wollen. Das erste Opfer erinnert an Franzens Debüt mit Julia. Und zwar wörtlich. Der Mörder hat alles bedacht. Aber seine Fantasien reichen viel weiter. Daniel hat das naht- und problemlos übernommen. Und entwickelt das gnadenlos weiter. Und das macht er schon seit etlichen Büchern grandios. Und jung, blond, tot ist auch sein erstes Opfer. Julia Durant muss erstmal schlucken und sich so einige Dinge ins Gedächtnis rufen. Der Fall ist ja nun etliche Jahre her. Vieleicht kann man die Filmindustrie mit an die Kandare nehmen, die diesen Fall verfilmt und dem Täter wertvolles Informationsmaterial damit in die Hand gegeben hat? Nicht wirklich. Ihr Ex-Mann segnet auch das zeitliche, gemeuchelt, und er wollte, in seinem letzten Willen, das Julia an seinem Grab stehen sollte. Man fragt sich unwillkürlich, wer ist denn jetzt schlimmer, der Autor oder ein Täter. Stephan war ein Lebemann, nur seine letzten Lebenswege zeugen nicht mehr davon. Irgendie ist er auf eine ganz andere Schiene geraten, die man nicht nachvollziehen kann. Jetzt ist er Geschichte und mit dem letzten Hemd bekleidet, das keine Taschen benötigt. Was sollte er auch noch mitnehmen. Für die letzten Reise braucht man ja nicht mal mehr die Zahnbürste. Daniel Holbe lotst Julia Durant wieder nach München. Trotz der Toten an der Nidda, deren Auffindung doch stark daran erinnert, was vor Jahren an einer Tagesordnung stand. Im Frankfurter Revier, wo ihr derzeitiger Lebensgefährte jetzt die Geschäfte für Verbrechensbekämpfung leitet, ist man der Meinung, fahr mal hin. Auch wenn das dein Ex-Ehemann war, mach doch einfach einen klaren Strich. Wäre nicht notwendig gewesen, weil der war ja schon Äonen vorher gezogen worden, aber die Herdenmentalität von, mehr oder weniger, Aussenstehenden oder auch Vertrauten werden selbst die Hartgesottenen aus der, weit nach hinten gesetzten, Gefühlszene überzeugen können, sich doch etwas Zeit für den Verblichenen zu nehmen, auch wenn man selbst schon lange damit abgeschlossen hat. Im Gegenteil, wenn man schroff reagiert und sagt, geht mir am verlängerten Rückgrat vorbei, dann wird man noch ganz schräg gemustert, als ob man sich gerade geoutet hat, mit Hundestaupe infiziert zu sein, literweise Methylalkohol zum Runterspülen des Abendessens bunkert oder Corona als die neue Teilnehmerin aus dem „Dschungelcamp“ im Reality-TV identifizieren möchte, obwohl man nicht mal ansatzweise eine Ahnung hat, was diese Fernsehsendungen überhaupt sind. Die großflächigen Werbeplakate, die selbst Analphabeten und Legasthenikern zu einem neuen Fernsehgenuss überreden werden, dürften dabei Pate stehen. Und die Emphatie der Leute, die es gut meinen wollen, auch. Das nicht so nette Leute genau das ausnutzen werden, ist heute Daniels Thema. Da hat sich jemand sehr gut vorbereitet und trifft seine Umwelt weit unter der Gürtellinie. Die nächsten Toten stehen Frau Durant zu nahe, als das hier ein Trittbrettfahrer am Werke sein könnte und die Drapierungen durch den selbst ernannten Sensenmann sind doch reichlich makaber. Die Wellen des Todes schlagen immer höher. Für die Frankfurter Gesetzeshüter, die von einer Ohnmacht in die andere fallen, weil der Takt, den der Täter vorgibt, immer schneller wird, gibt es nicht viele Alternativen. Alle Ermittlungsansätze sind irgendwie fruchtlos und man werkelt, sprichwörtlich, im Nebel herum. Nur ein gemeinsames gibt es, alle Spuren zeigen mit neonschrillen Farben auf die Frau mit der Salamistulle und zeichnen ihr ein fatales Fadenkreuz auf die Stirn. Herr Holbe reibt sich die Hände. Das ist doch ein Meisterwerk der Spannung geworden, da kann er, zu Recht, stolz auf sich sein. Außer ihm selbst weiß keiner wirklich mit der Situation umzugehen, nicht ein mal der Leser, den er ja sonst gerne mal mit Extrainformationen gefüttert hatte. Was er jetzt aber tunlichst sein lässt. Heute will er sich mal nicht in die Karten gucken lassen. Wo man früher noch den einen oder anderen Hinweis rauslesen konnte, solange man ihn nicht verpetzen wollte, hat er, in diesem Buch, ein komplette Nachrichtensperre verhängt, damit alle in der Dunkelheit herumirren müssen. ISBN 978-3-426-52086-4 377 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A) DANIEL HOLBE – Totengericht – Archiv April 2020 |