BUCHCOVER | REZENSION |
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MARKUS HEITZ –Die Meisterin - Der BeginnBei ihm selbst sollte das eher eine Weiterführung sein. Ein Meister der Feder war er schon von Anfang an. Seine Welt begrenzt sich nicht nur auf kleinwüchsige Krieger, die mit besabberten, vor sich hinrostenenden Kettenhemden und umgekippten Bierkrügen plötzlich erwachen, dafür aber Kopfschmerzen haben, ohne Iboprofen auskommen müssen und ihre Kriegsaxt erstmal suchen müssen, oder langlebigen, dafür umso aggressiveren Vollpfosten, die sich jetzt als Welteroberer betrachten wollen. War nur eine Zwischenstation. Für Geneve Cornelius beginnt eine Zeit, die Markus, eigentlich, schon vor Jahren im Fokus hatte. Nur wollte man es damals nicht wirklich. Dass sich ein neues Universum entwickelt. Was Markus eigentlich schon seit Jahren im Visier hatte. Und seine Projekte waren immer spektakulär. Wenn man das im Nachhinein betrachtet, wird es nicht das gewesen sein, was er wirklich wollte. Schriftsteller wachsen an ihren Figuren. Oder auch umgekehrt. Jetzt hat er das umgesetzt. Gut für den Leser. Schlecht für einige seiner Romanfiguren. Einschließlich Geneve. Nach einer bewegten Vergangenheit wollte sie nie wieder mit ihrer Familie in einen Zusammenhang gebracht werden. Allerdings ist sie hier, bei Markus an der falschen Adresse. Irgendwie hat man das Gefühl, das er den Beruf der Familie Cornelius neu aufleben lassen möchte. Die Zunft, die Gilde ... der Henker. Nach der Lektüre dieses Buches könnte man auf die Idee kommen, mal beim Arbeitsamt oder in einer anderen Institution nach einem Weiterbildungskurs zu fragen. Mit soviel Hingabe stellt er diese Tätigkeit über mehrere Generationen dar. Und gibt dazu noch einen kleinen Kurs für die italienische Sprache und etwas Geschichtsunterricht über diesen, doch ziemlich nervenaufreibenden Beruf. Und er haut auch mal Seitenhiebe auf ein paar andere Romane rauf. Allerdings sollte man auch die Anmerkungen negativer Art berücksichtigen, bevor man einen Karrierewechsel anstreben möchte. Geneve Cornelius wird schon gewusst haben, warum eine solche Tätigkeit nichts für sie ist. Ein paar hundert Jahre lang musste sie hinter die Kulissen schauen, mit einer Mutter, die nach dem Tode ihres Mannes den Job geerbt hatte und einem Bruder, der liebend gerne lernt, vorzugsweise die sadistischen Seiten seines Vaters mitnimmt, den man, vor seinem eigentlich schon vorprogrammierten Alkoholtod, dann doch noch gesteinigt hat. Zumindest ist Papa nicht an Gelbsucht gestorben, kam aber auch nicht in den Genuss eines langen Lebens, wie der Rest der Familie. Mami und Keule (für den Berliner heißt das Bruder) üben sich... noch ein paar Jahrhunderte... im Ausüben der „Gerechtigkeit“ der Oberen Zehntausend, aber Geneve strebt einen neuen Weg an. Bei den anhaltenden Justizirrtümern, die zwar keine sind, sondern sich, mehr und mehr, als ein politisches Kalkül darstellen und sich dafür umso mehr häufen, für eine ausgleichende Gerechtigkeit sorgen. Ob das so wirklich geht, das sollte sich auch Markus selbst mal fragen. Mittlerweile ist sie in Leipzig heimisch, in der heutigen Zeit. Kräuterkunde im 21. Jahrhundert. Hier angekommen, hat sie viele Patienten. In Leipzig wimmelt es. Werwölfe, mit Krallenschmerzen, Augenproblemen und Staupe, Vampire, die auf dem letzten Zahn krauchen und deren Schneider für ihre Umhänge, sehr suboptimal, nur tagsüber arbeiten, Wandelwesen, die mit ihren bipolaren Persönlichkeiten nicht klarkommen, niedere Dämonen, die sich benachteiligt fühlen und deswegen Depressionen haben. Aber auch Menschen, die sich etwas unwohl fühlen. Frau Doktor Geneve Cornelius hat viel um die Ohren und ihre Krankenakten dürften zwar nicht umfangreicher, aber dafür etwas vielfältiger sein, als die, der Berliner Charitè. Geneve will eigentlich Neutralität, hilft allen, nur hilft das nichts. Es gab Zeiten, da hatte sie Flagge gezeigt, und da ist reichlich was schief gelaufen. Jetzt hat sie dem abgeschworen, aber es wird auch nicht besser. Sie steht zwischen den Fronten, auch, wenn man sie noch in Ruhe lässt. Wie man es macht, es ist immer falsch. Oder mit den Worten Bertolt Brechts aufzuzeigen, wenn man nur die Symptome sieht und versucht diese zu bekämpfen, statt den Ursachen, zementiert man nur die Not. Pferd, das hässlichste, dafür aber das treueste, Schlachtross der Literaturgeschichte, und David Gilmans beste Erfindung aller Zeiten, sieht das pragmatischer. Gerechtigkeit wird nicht gerechter, wenn man noch mehr Gräuel verübt. Und das versucht Geneve Cornelius zu verinnerlichen. Bertolt ist nicht ihr Favorit, aber Pferd kann ihr auch nicht wirklich weiterhelfen. Wenn der Mensch über andere Menschen herrschen will, wird es immer Opfer geben. Die, die benachteiligt sind, nicht den goldenen Löffel im Babybrei hatten, werden immer leiden. Das Schlagwort Fürsorgepflicht, von dieser Demokratie in ganz großen Lettern geschrieben und propagiert, meist für die Täter, wird, für die Opfer immer nur als ein vergessenes Nachwort enden, weil man die letzten Seiten aus dem Buch des Lebens wieder herausgerissen hat. Nun ja, und das weiß auch Markus Heitz, die Vergangenheit holt einen auch mal ganz schnell wieder ein. Erst wird Geneves Bruder ermordet, dem sie nicht wirklich eine Träne hinterher weint, kurz darauf auch ihre Mutter, zu der ihre Beziehung auch eher unterkühlt war. Dafür übernimmt die tote Frau jetzt die Moderation des Buches. Tote Menschen erzählen keine Geschichten? Fragt die Rechtsmediziner, die können Euch das ganz anders unter die Nase reiben oder, eben klar, Markus, der hier sogar eine Chance sieht, der toten Frau einen Job zu geben. Bezahlen muss er sie ja nicht dafür. Tote brauchen kein Geld mehr. Außerdem kann er sich jetzt ganz entspannt zurücklehnen. Und Catharina Cornelius hat eine ganze Menge auf dem Herzen. Im Leben konnte sie nicht wirklich sprechen, nach ihrem Tod hat sie doch viel zu erzählen. Wen das an was erinnert? Leipzig hat eine bewegende Geschichte hinter sich. Markus könnte ja auch als eine Art Stadtbiograf durchgehen. Die Exkarnationen haben einen Samen gelegt. Die anderen Bücher aus dem Jahre 2019 zeigen, das er trotzdem fleißig den Leser mit Stoff, zum Nachdenken, versorgen will. ISBN 978-3-426-22675-9 480 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A) MARKUS HEITZ – Der Tannenbaum des Todes – Archiv Dez. 2019 |