BUCHCOVER | REZENSION |
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GILLY MACMILLAN –Bad FriendsAlltägliche Geschichten in eine lesbare Form zu bringen ist eine Kunst, nicht so alltägliche aber auch. Überhaupt, unser Leben in eine auf Seiten geschriebene Form zu bekommen, ist etwas, was nicht jeder kann, auch nicht muss. Dafür haben wir Menschen, die ihr Herz an den Federkiel gehängt haben. Menschen, die uns Schicksale anderer Menschen nahebringen wollen. Gilly MacMillan ist eine begnadete Schriftstellerin, die sich genau in diesem Fach bewegt, wie ein Fisch im Wasser. Noah Sadler hat einen Plan. Ob man den jetzt unter Thriller eintüten möchte, oder doch als eine Tragödie einstufen wird, sollte jedem selbst überlassen sein. Die Katze, die sich im Lichte der Leselampe auf dem Schoss herumräkelt, wird das weniger interessieren. Fakt ist, dass Gilly MacMillan ziemlich verworrene Situationen zaubern kann, bei denen nicht nur der Leser das Schlucken bekommt. Die handelnden Figuren sind genauso überrascht und schon geht das Rätselraten los, vor allem deswegen, weil man völlig ratlos ist. Nun ja, Gilly, als furchtlose Anführerin der Seitenbande, lässt diese völlig im Unklaren, was passiert ist. Noah macht einen Ausflug, mit seinem Freund Abdi Mahal. Der Junge aus Bristol und sein Kumpel, der ursprünglich aus Somalia kommt und jetzt mit Noah die Schulbank drückt und teilt. Irgendwie mal ausbüxen, ein Bier trinken, obwohl man dafür noch zu jung ist. Eine Grenze überschreiten. Wer hat das in diesem Alter nicht gemacht. Aber, dank Frau MacMillans Nachrichtensperre, weiß das natürlich keiner. Als man Noah, bewusstlos, aus einem Kanal zieht, ihn in die Notaufnahme einliefert, wird nicht wirklich nachgefragt, was passiert ist. Abdi, unter Schock stehend, ist natürlich keine große Hilfe. Und schon kocht der Gerüchtekessel auf Hochtouren, was hätte passieren können oder sollte, wenn man dann gerne auf Spekulanten hören möchte. Eigentlich soll Inspektor Clemo hier etwas zartfühlender vorgehen. Nur hat dieser Mann den Charme eines Panzerschranks und den Charakter einer Boden-Luft-Rakete. Hier hat sich Gilly richtig Mühe gegeben. Er ist zwar in Behandlung, aber die greift noch nicht so wirklich. Vielleicht hätte er bei Karen Rose besser mal eine Anfrage gestartet, wie man Posttraumatischen Belastungsstörungen begegnen sollte. Deren Bücherbande könnte ja ganze Romane davon schreiben. Ups, das hat sie schon selbst gemacht. Aber Herr Clemo ist noch nicht richtig auf dem Update. Vielleicht hätte er mehr lesen, oder sich mal den Film „Grand Turino“ von und mit Clint Eastwood anschauen sollen. Dann hätte er mehr nachgedacht. So steht er jetzt in den Seiten, von allen guten Geistern verlassen da, und hat, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, eine Welle losgetreten, in der unsere Gesellschaft die Schuld immer wo anders sucht. Nicht nach den wirklichen Ursachen forscht. Und schon gar nicht bei sich selbst. Gilly MacMillan hat es doch perfekt drauf, uns den Spiegel vor die Nase zu halten. Der Nigger, der Jude, und auch alle anderen, sind schuld! Nur wir nicht. Weil wir wegschauen? Wollen! Tröstlich ist, sie lässt Clemo dann doch nicht ganz allein in diesem Dilemma stehen. Als PTBS-geschädigter Polizeibeamter hat er genug Dämonen, denen er begegnen muss. Wollt Ihr mit ihm tauschen? Bevor Ihr Euch diese Frage stellen und beantworten könnt, lest sein Schicksal. Gilly MacMillan steht Euch, ganz bestimmt, und gerne zur Seite, hier auch bei, bei auftretenden Unklarheiten, nachzufragen. Vor allem dann, weil es eigentlich um etwas ganz anderes geht. Sehr gut geschichteter Roman, der einem doch mehr gibt, als nur die Katze unter Achselhöhle. Hier kann man auch mal nachdenken, über das Schicksal anderer Menschen, die eigentlich in der Nachbarschaft leben könnten. An einer, nicht wirklich sichtbaren, Grenze zwischen Thriller und Tragödie legt Gilly MacMillan jetzt die Messlatte an. ISBN 978-3-426-52258-5 415 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A) GILLY MACMILLAN – Perfect Girl – Archiv April 2017 |