BUCHCOVERREZENSION
Macmillan.g PerfectGirl

GILLY MACMILLAN –

Perfect Girl – Nur Du kennst die Wahrheit

Nicht immer ist die Wahrheit hilfreich, schon gar nicht dann, wenn Lügen überzeugender sind. Das war ja schon ein Themenanschnitt, den Gilly MacMillan in ihrem Debutroman dargelegt hat. Hier macht sie nicht nur nahtlos weiter, sondern erweitert das noch, gnadenlos. Recht zu haben, heißt, in unserer demokratischen Umgebung, noch lange nicht, auch Recht zu bekommen. Zoe, als Teenager, hat nach einer Party den Fehler gemacht, in ein Auto zu steigen, eigentlich, um ihre Freundin, die richtig volltrunken ist, nach Hause zu fahren. Papa hat ihr das ja mal beigebracht, das Führen eines vierrädrigen Fahrzeugs. Allerdings nicht unter diesen Bedingungen. Ihr kleiner Schwarm Jack und dessen Möchtegernfreundin sitzen auch noch im Fahrzeug. Von Alkohol-, oder sonstigen Einflüssen ganz zu schweigen. Zoe und Gull sind sogenannte „nichtangesagte“ Jugendliche, müssen sich durchbeißen, als Stipendienempfänger, während die reiche Oberschicht auf sie herabschaut. Reich zu sein und das mit Intelligenz zu verbinden, da hat sich der Gipfel der Schöpfung schon immer schwer getan, vor allem dann, wenn man seinen Reichtum nicht erarbeitet hat, sondern nur der Nutznieß ist, von Papa, Mutti, den Großeltern, oder seinen Urahnen. Jack scheint da eine Ausnahme zu sein. In Zoe´s Augen, wohlgemerkt. Sie selbst ist ein Musiktalent, Gull ist eher sportlich orientiert. Was dann die Stipendien erklären sollte. Nur die Teens, denen die Brieftasche ihrer Vorfahren ein sorgenloses Leben ermöglicht, sehen das trotz, oder weil, ihrer beschränkten Intelligenz etwas anders. Sie selbst haben kein Talent, sie sind nur reich und neidisch. Gilly MacMillan hat da recht farbenfrohe Worte auf Lager, was dann so manchen Teen dazu bringt, folgenschwere Fehler zu begehen. Gull will heim, hat ja morgen, oder ist es schon heute? Geburtstag und Angst vor ihren Eltern, nach so einem Suff, verständlich. Jack will zum Leuchtturm und mit Zoe rummachen und Amelie will Jack für sich haben, so eine durchgeknallte Pianobraut, wie Zoe, sollte ihr dabei nicht ins Handwerk pfuschen. Ende der Geschichte ist ein Unfall, mit drei toten Teenies und Zoe, in dem Falle mehr Opfer als Täter,  verschwindet im Jugendstrafvollzug. Aus dem sie Monate und etliche Therapiegespräche später wieder entlassen wird. Hier lässt Gilly mal etwas Zeit durchlaufen. Mutter heiratet wieder, Zoe wird als Stiefkind angenommen, ihr Stiefbruder spielt auch Klavier, der Stiefvater scheint ein Mann von Welt zu sein. Allerdings kennt Stiefpapa nicht die Vergangenheit von Zoe. Um die große glückliche Patchwork Familie noch glücklicher zu machen, bekommt sie Zuwachs. Baby Grace. Zeit für Frau MacMillan Nägel mit Köpfen zu machen. Zeit für ein Konzert. Die Stiefgeschwister gemeinsam am Flügel, ein Traum von Muttern, der jedoch reichlich nach hinten losgeht, als Amelies Vater vor der Bühne auftaucht und Stunk machen will. Gilly MacMillan entfesselt ein Trauma, auf das jede Familie, liebend gerne, verzichten würde. Eben noch auf der Bühne am Flügel, nichts Schlimmes ahnend, wird Zoe mit ihrem schlimmsten Alptraum konfrontiert, der sich lichtgeschwindigkeitsmäßig in alle Richtungen ausbreitet und darin gipfelt, dass ihr Stiefvater komplett ausrastet und ihre Mutter kurz danach tot ist. Und ihr Stiefbruder so manches Wissen offenbart, dass er, eigentlich, gar nicht haben dürfte. Soviel zum Thema sozialer Netzwerke, in denen man sich verstricken, aber nicht, mehr wirklich, verstecken kann. Unsere geschätzte Autorin hat ganze Arbeit geleistet und ein Buch abgeliefert, das sich, nach seinem Vorgänger, dramentechnisch noch engagierter darbietet. Gott vergibt, sagt man. Menschen werden das eher selten tun, oder, wie in diesem Fall, überhaupt nicht. Wirklich nur blinder Schmerz? Oder doch nur Dummheit, Machtbegehren und ein Gefühl für Überlegenheit. Frau MacMillan präsentiert eine volle Palette menschlicher Emotionen, die teilweise nicht, oder nur zu gut, nachzuvollziehen sind, je nachdem, auf welcher Seite man sich sieht oder/und von welchem Standpunkt man das betrachtet. Ein Prachtexemplar von einem Buch, ohne Frage.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52056-7  419 Seiten     14,99€ (D)  15,50€ (A)

GILLY MACMILLAN – Toter Himmel - Archiv