BUCHCOVERREZENSION
Rosek Dornenherz

KAREN ROSE –

Dornenherz

Eine erste Feststellung sollte sein, ja, auch Männer dürfen weinen. Abgesegnet von Karen Rose und sie weiß, hundertprozentig, wovon sie spricht. Die Figuren von Karen Rose sind eine „große glückliche“ Familie. Jeder kümmert sich um jeden, mehr oder weniger, und das hat nicht nur mit Verwandtschaft im engeren Sinn zu tun, sondern auch mit Freundschaft, der Arbeit und vielen Freizeitaktivitäten. Wir haben sie ja alle kennengelernt. Das ist schon fast eine Idylle? Nur, das jeder mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen hat. Was ja auch kein Wunder ist, nach den Situationen, mit denen Röschen ihre Protagonisten konfrontiert hatte. Die Frau ist effektiver als eine Panzerarmee, die mit punktgenauer und funktioneller Unterstützung von spezialisierten Einheiten der Infanterie und einer aggressiven Luftwaffe unterstützt wird. Sie überrollt alles. Auf der einen Seite hat sie zwar ein klares Bild von Gut und Böse, was sich auch wohltuend auf ihre Charaktere und ihre Leser auswirken sollte, auf der anderen jedoch, wirft sie gleich alle Thesen über den Haufen, das diese Welt eine menschenfreundliche sein könnte. Ihre „große glückliche“ Zusammenführung von Menschen basiert darauf, das alle Leid gesehen haben und man sich darauf einigt, das man bisher nur der Scheiße ins Gesicht geschaut hat? Hier und heute sind sie aber alle wieder versammelt. Karen Rose macht, sozusagen eine Konferenz ihrer Charaktere. Was heißt, das jeder Mensch, in ihren Romanen, der unter PTBS zu leiden hat, oder auch nicht, ist aber irrelevant, jetzt mal richtig Frust ablassen, sich aussprechen, anderen Menschen sein Innerstes
zeigen kann, ohne dafür ausgelacht zu werden. Das ist doch schon ein Fortschritt für so manche Romanfigur, die, in vorangegangenen Bänden der Schriftstellerin, nur in der Ecke gestanden und sich geschämt hat, weil man keine Worte für seine Situation gefunden hat. Am Rande stand und außer rot im Gesicht werden, dann lieber in die Kneipe ging, statt mal reinen Tisch zu machen. Sie will zwar kein Pflegeheim für PTBS-kranke Menschen eröffnen, obwohl eigentlich doch schon. Ansonsten gäbe es die ganze Karen-Rose-Bande nicht. Sonst hätte sie ihren kompletten Truppenteil nicht hier und heute wieder zusammengetrommelt, der in ihren letzten vier bis fünf Büchern umtriebig war, mit wechselnden Ergebnissen in der persönlichen Wahrnehmung. Das knallharte Cops plötzlich zu Hundewelpen, zu Alkoholikern, oder noch schlimmeren mutieren ist nur eine Vorbereitung, was jetzt kommt. Und so einem gemütlichem Gemetzel, auf Art der Barbaren, ist Karen Rose noch nie aus dem Wege gegangen. Sie muss das ja auch nicht ausbaden. Ihre Figuren schon. Und die sind schon belastet genug. Wo ist hier eine Grenze, wann ein Mensch zusammenbricht? Gute Frage, und Karen stellt, indem sie diese ignoriert, gleich die nächste. Wie schwach oder stark kann man sein? In den Themen ihrer Romane fordert sie ihre Figuren, sie hat den Vorteil, ein kleines bisschen Schicksal zu spielen zu können, Karma zu sein. Nur, wenn man sich das real vorstellen soll, was sie verlangt, kommt man als Leser auch schon an Grenzen. Schön, dass wir eingehend erwähnt hatten, dass auch Männer weinen dürfen, kann entspannend und krampflösend wirken. Sich für Gefühle zu schämen, ist das Letzte. In diesem Punkt hat Frau Rose ein Einsehen. Nachdem so etwa zwei Dutzend ihrer Nebendarsteller ein Stelldichein mit dem Mann der Landwirtschaft hatten, diese Technologie nennt sich auch, über die Klinge springen, also die Sense aus erster Hand erfahren konnten, wie sie eigentlich nicht funktionieren sollte, mit der der Meister im schwarzen Look und dem weißen Pferd sein Geld verdient, dürfen Männer jetzt auch wieder weinen. Hat ja auch lange genug gedauert. Karen Rose hat die Front wieder eröffnet. Und die wird noch erbitterter, als was vorher war. Das ihr „fröhlicher“ Familienabend, he, wir haben Weihnachten, darunter leiden wird, und das ist noch eine extreme Untertreibung, wird Frau Rose jedoch nicht davon abhalten, die Leichensäcke zu füllen. Ist ja nicht ihr Hausmüll. Schön, dass sie jetzt das Cincinnati Police Department hat, das hinter ihr aufräumen muss, währenddessen sie ihren Kaffee genießt. Dabei begann alles harmlos. Aber das ist ja immer nur die erste Seite bei ihr. Nach zweien steht man schon in Pfützen von Blut, nach dreien reicht der Pegel bis zu den Kniekehlen. Auf ihre Figuren wird geschossen, manche werden lebensgefährlich verletzt, wenn es dabei bleiben sollte, dann haben sie noch Glück. Andere müssen mit ansehen, wie ganz andere, vermutlich die mit den Zeitverträgen, gleich aus der Handlung gepustet werden und ihr Handtuch mit unter die Dusche tragen dürfen, das sie, vermutlich auch noch selbst bezahlen mussten. Für die eine Seite und Minute Leseraufmerksamkeit wird Karen Rose keine Honorare zahlen wollen. Da ist sie gnadenlos und unerbittlich. Wenn sie von ihren eigenen Gestalten verklagt werden würde, müsste sie nach Deutschland übersiedeln und Hartz IV beantragen, einschließlich einer Privatinsolvenz und jede Puseratze, die sie mit ihren Büchern verdient, in die gemeinnützigen Einrichtungen stecken, die so manche ihrer Figuren schon, vorausschauend, eröffnet hat. Aber Schriftsteller haben immer Recht, und Recht heißt noch lange nicht Gerechtigkeit. Nun ja, Frau Rose probiert es zumindest, einigen ihrer Schützlinge doch noch eine Art Heimat zu geben. Hoffnung stirbt als Letztes.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-22678-0 812 Seiten 16,99€ (D) 17,50€ (A)

KAREN ROSE – Todesschuss – Archiv Okt. 2016
KAREN ROSE – Dornenspiel – Archiv April 2018