BUCHCOVERREZENSION
Krausc NichtsWirdDirBleiben

CHRISTIAN KRAUS –

Nichts wird Dir bleiben

Wie war das mit Agatha Christie und dem Menschen, den man bis zu seinem Lebensende ärgern kann? Was Christian hier darunter versteht, sollte einem, als Leser, eigentlich egal sein. So oder so, für den Zeilenkonsumenten kann dabei nur Gutes herausspringen. Wen Herr Kraus hier richtig ärgern möchte, da können die Meinungen doch und/oder noch etwas auseinandergehen, vor allem wenn man die Terminierung der Ur-Mutter unserer heutigen Krimis in Betracht zieht. Der Punkt Lebensende kann ja vielfach verifiziert werden. Christian Kraus versucht mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Ob Agatha jetzt um Hilfe schreien, oder doch den Mann, mit dem Kittel, samt der obligatorischen, wenn auch nicht wirklich notwendigen Couch, und seinen vielen Erkenntnissen über die menschliche Psyche unterstützen möchte, da wird ihr die Wahl wohl sehr leicht fallen. Sie würde, vermutlich, beides machen. Die Zeiten haben sich zwar etwas geändert. Aber Frau Christie hatte ein großes Herz. Und Schreien kann befreiend wirken. Kommissar Barbes Gefühl und dem seiner polnischen Großmutter, und ganz klar, auch Christian, ist die Erkenntnis zu verdanken, wir sollten einen moralischen Kompass haben. Und dazu hat er, Christian, wer sonst? auch gleich eine treffende Theorie am Start. Die von der Praxis sofort, ganz nah und unheimlich begeistert unterstützt wird. Egal, was man tut, man ist immer der Arsch. Wenn der Klügere nachgibt, wird der Dumme regieren. Das ist zwar nicht wirklich schön, nur, mit was können wir leben? Mit seinem Buch in jedem Fall. Er spricht ja den Leser an, das auch sehr direkt, und nicht die Politiker. Er wird viele Leute ärgern, in seinen Seiten, uns jedoch wird er viele Augen öffnen. Da werden die zwei, die wir eigentlich schon haben sollten, nicht ganz ausreichen. Vor allem auch deswegen, weil diese zwei ja blind sein wollen. „Nichts wird Dir bleiben“ ist knallhart, genau das zu unterstreichen. Interessant dazu ist jedoch, dass Herr Kraus eine recht entspannte Erzählweise an den Tag legt. Man erkennt sich selbst in seinem Buch und auch die eigene Umwelt. Eigentlich soll alles fiktiv sein, nur dieser Schein trügt etwas. Christian Kraus hat auf die allgemeine Realität zurückgegriffen. Neben seinem Psychothriller, mit dem jetzt einige seiner Seiten-Mitarbeiter ihre eigenen Erfahrungen machen werden, müssen, viel Auswahl haben sie ja nicht, zeigt er uns skrupellose Figuren, denen wir auch auf den Leim gehen könnten. Damit wir das nicht machen, oder zumindest eine Chance haben, solchen Gestalten aus dem Weg zu gehen, schreibt er eine Geschichte, die richtig vom Hocker haut. Hundertprozentig kann sich Dr. Kraus als ein Schriftsteller bezeichnen, der das wahre Leben, oder zumindest ein paar Teile mehr davon, besser erkannt hat, als wir. Wozu jetzt auch Dr. Thomas Kern zählt. Ein Psychoanalytiker mit besten Referenzen, der jetzt einen Besuch von einer Patientin bekommt, die ziemlich durch den Wind ist. Der zweite Termin minimiert sich auf einen Abschiedsbrief. Dafür entgleist jetzt sein Leben. „Nichts wird Dir bleiben“ beschränkt sich nicht auf den Zeileninhalt, Thomas Kerns Existenz wird systematisch pulverisiert. Seine Praxis wurde komplett geplündert. Computer weg, selbst der Papierkorb ausgeräumt, alle Akten sind verschwunden und die Polizei? Ist auf Abwegen. Aber nicht, um auf hölzernen Knüppelpfaden stolpern. Hier und heute haben plötzlich Leute einen ganz einfachen, wie auch komplizierten Plan, der nur einen Kollateralschaden einrechnen soll. Thomas Kern. Er soll plötzlich ein Vergewaltiger seiner schon volljährigen, jetzt aber toten, Patientin, dazu aber auch der Kinderpornografie zugewandt sein. Wie das zusammen passen könnte, da fragt keiner nach. Im Gegenteil. Jetzt er steht da, wie ein Pinguin auf dem Eiffelturm. Christian Kraus brilliert mit seinem Buch. Das kann sich wirklich keiner vorstellen. Herr Kern fällt vom Glauben ab, der Leser auch, kann man beiden auch nicht verdenken. Nun ja, der Leser ist nicht wirklich betroffen, noch nicht. Der Kollege von Dr. Kraus schon. Seine Familie will ihm nicht mehr glauben, wobei Frau Lea ja schon andere Wege beschreitet, und Tochter Natascha auf einen oben genannten Leimfänger hereinfällt. Ein, eher harmloser, Vorstoß und erster Versuch, seine Tochter aus den Fängen des Psychogurus zu zerren, kosten seiner Frau das Leben. Thomas Kern ist ganz unten angekommen. Könnte man auch Konkurrenzverdrängung nennen. Sollte Christian Kraus Euch dazu einladen wollen, in seinem nächsten Roman mitzuspielen, lehnt das standhaft ab. Geht lieber Flaschen sammeln. Die Ansichten des Privatdetektives Walter Goldman sollten einen darin auch bestärken und der hat, eigentlich, noch ganz andere Probleme. Die wollen wir hier und jetzt allerdings nicht breitwälzen, weil auch Romanfiguren ein Recht auf Privatsphäre haben sollten. Natürlich nur solange, bis der Leser, nachdem Schriftsteller und Verlag das freigegeben haben, das Buch einatmet. Und das wird er/sie machen. Keine Frage! Herr Kraus spricht glasklar dass aus, was auch andere schon zu Protokoll gegeben haben. Man ist immer der Arsch, wenn man menschliche Gerechtigkeit haben möchte. Und das stimmt fast immer. Es gibt immer die Ärsche, die Dir eine Schuld zuweisen wollen, weil sie Dich in eine Ecke drängen werden. Nur, macht er das vehementer klar, in diesem Buch. Es gibt aber auch noch eine sehr gute Meldung! Das Schöne ist, keine Katze musste hier leiden oder/und sterben. Dafür liebt man doch diesen Schriftsteller.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-30706-9 458 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)

CHRISTIAN KRAUS – Töte, was Du liebst – Archiv August 2019

Musik-Tipp! Das Magazin „Legacy“ gibt auch hier gerne wieder unterstützende, musikalische Lebenshilfe. „Graveyard“ mit „Of Extant Cult And Living Terrors“ geht schon richtig ins Ohr. War auf der letzten Ausgabe auf der CD mit drauf.