BUCHCOVERREZENSION
Roth.c WennWirWiederLeben

CHARLOTTE ROTH –

Wenn wir wieder leben

Das Charlotte-Roth-Wohlfühlbücherregal, in das man ihre Bücher stellt, wenn man sie denn eingeatmet hat, kann sich jetzt über Zuwachs freuen. „Wenn wir wieder leben“ wird sich dort nahtlos einfügen. Dieses Werk ist monumental geworden. Solltet Ihr noch keines haben, Regal oder Buch, schafft Platz dafür. Schmeißt den Kleiderschrank raus, oder die Glotze. Was wahrscheinlich die bessere Alternative wäre. Die Katze wird´s Euch danken. Auch wenn Euch das nicht von der Fernsehfron (Fron – Abgabe, ohne Sinn und Verstand, nur dafür da, dass gewisse Leute nicht arbeiten müssen) befreien wird, da man in diesem Land der Meinung ist, vieles beim Alten lassen zu müssen, auch wenn es, Falsch! Weil es nur einigen wenigen nutzt. Dabei ist man nach der Zeit, die Charlotte in ihrem Buch beschreibt, mit so großen Idealen an den Neustart gegangen, wollte die Welt zum Besseren verändern, hat große Töne gespuckt und was ist dabei herausgekommen? Nicht viel. Eher weniger. Ein Grund mehr für Frau Roth gegen das Vergessen und die Vogel-Strauß-Taktiken zu schreiben, die sich in unserer zivilisierten Welt breitgemacht haben. Ein Buch zu kredenzen, das den ewig gestrigen den Wind aus den Segeln nehmen und unseren „selbstlosen“ Führern von unseren Nationen und Völkern, „Demokratien“, bei dem Namen bekommt man schon ein haltloses Lachen nicht mehr aus dem Kopf, und das kalte Kotzen noch dazu, mal daran erinnern soll, dass wir, in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, eine Katastrophe, bis hierhin die größte der Menschheit, hatten und wir, bis heute, nicht wirklich etwas daraus gelernt haben. Wir, in Europa! Unseren „furchtlosen“ Anführern immer wieder hinterher tuckernd und ignorieren wollend, dass diese, einzige und unsere, Welt, trotz feierlicher Versprechen und sinnentleerten Sprüchen, wohl doch nicht das Paradies geworden ist. Dafür hatten wir dann den „Kalten Krieg“ und Stellvertreterauseinandersetzungen auf allen anderen Kontinenten. Korea war das erste Mahnmal. Nicht einmal vier Jahre später. Und wundern uns über Flüchtlingsströme, denen wir auch noch mit Misstrauen begegnen wollen. Frau Roth sagt dieser Einstellung den Kampf an. Schreibt ein Buch, für das Erinnern. Was wir auch wirklich machen sollten, nach dieser Lektüre auch tun werden. Die sich in jede Gehirnwindung einbrennen wird. Wenn man dann welche hat. Genau hier scheint es in unseren politischen Führungsetagen ja richtig zu mangeln. Damals, wie heute. Die Zahl der Opfer, die, seit dem II. Weltkrieg, gewaltsam ums Leben kamen, oder nicht einmal den Hauch einer Chance zum Leben hatten, weil das heutige System, dass nur sich selbst hochjubeln und uns die Augen verkleistern möchte, übersteigt jede Hochrechnung und stellen die heutigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eigentlich, mit denen der Nazis in eine Reihe, aber darüber will heute keiner sprechen. Charlotte Roth hakt einfach mal nach, beschreibt das Leben, vor der Zeit der Nazis, mittendrin und danach. Mittelpunkt sind das Zweigestirn am Ostseehimmel, Danzig, Gdánsk, und Zoppot, Sopot, wo Gundula Frieböse aufwächst. Das glücklichste Kind auf diesem Erdenrund. Sie hat zwar keinen wirklichen Vater, und Mutter ist eigentlich auch mehr nur ein Begriff, aber dafür ist ja Pop da, ihr Opa, Tante Karl, dessen Lebensgefährtin, und ihre Halbschwester Lore. Und Musik. Mit ihren Freunden Julius und Erik, und auch Lore träumt sie von Liedern, die das Leben leicht machen, Freude geben. Gundi Sonnenschein wird sie von allen genannt. Keiner kann ihr lange böse sein. Wenn überhaupt. Noch gurken die Nazis in den Kinderschuhen herum, Danzig steht unter der Verwaltung des Völkerbundes und der Vertrag von Versailles ist immer noch das Henkerseil des „deutschen“ Volkes, wie die NSDAP, und auch andere Parteien, nie müde werden, zu propagieren. Und dies führt dazu, dass eine gewisse Saat schon zu keimen beginnt. Nur ist das noch nicht so wichtig für Fräulein Sonnenschein. Noch lebt man, ihrer Auffassung nach, relativ, entspannt zusammen. Deutsche, wie Polen. Und Gundi bekommt eine Melodie in die Ohren, die ihr eine polnische Freundin sozusagen schenkt. Ihre Band oder Tanzkapelle, „Die Piroggen“, hat, nach jahrlanger Erfolglosigkeit, damit ihren großen Durchbruch. „Morgen am Meer“ wird der Hit. Mit einem bitteren Nachgeschmack. Der zuständige Gauleiter der Nationalsozialisten liebt dieses Lied und so wird ein Stück Geschichte der Korruption geschrieben. „Die Piroggen“ sind zwar Deutsche, aber der Bandname ist nicht so wirklich nach dem Geschmack des Danziger Nazifürsten, der alles daran setzt, die vier Tonkünstler in das „Kraft durch Freude“-Programm zu integrieren. Charlotte legt Herrn Forster durchaus überzeugende Worte in den Mund, bei denen die jungen Menschen weiche Knie bekommen. Jetzt heißen sie „Die vier aus Zoppot“ und Julius ändert, obendrein, seinen Familiennamen, den Gundi bei ihrer Hochzeit übernimmt. Und ihr erstes Kind bekommt, Ariane. Die Weichen für eine erfolgreiche Karriere als Berufsmusiker sind gestellt. Nach dem Krieg sucht Wanda nach ihrer Vergangenheit. Zum Leidwesen ihrer Matti, richtig gelesen, nicht Mutti. Bedenken haben Tante Lore, Zwillingsschwester Vera und auch Ariane, ihre ältere Schwester. Aber Wanda will nachwühlen. Sie will kein Kind von Kriegsverbrechern sein und jeden Schatten, der über ihrer Vergangenheit schwebt, lüften. Was sie damit erreichen will, ist nicht gründlich schlüssig, vor allem, weil Matti (nicht Mutti) sich das Leben nimmt, und ein Grund dafür nicht wirklich zu erkennen ist. Sie, Matti, hatte ja nichts verkehrt gemacht, im Gegenteil. Hier hat Wanda die Familie auseinandergebrochen und Charlotte Roth setzt einen Tenor an, was so alles passieren kann, wenn man Humanität aus den Augen verliert. Was die Nazis gesät haben, ernten wir heute noch. Das schlagen unsere heutigen „Demokratien“, gerade der Weltpolizist USA, zwar mit Leichtigkeit, vor allem dem geschuldet, dass sie das immer regional begrenzen. Korea, Vietnam, Nicaragua, Guatemala, Somalia. Diese Liste lässt sich beliebig lang fortführen. Grenada hatte, nach der Invasion der USA, zwar „nur“ ein paar hundert Tote zu verzeichnen. Aber immerhin waren da noch so einige kubanische Militärberater, die, die Weltmacht Grenada zu einem überzeugenden militärischen Sieg über die Atommacht USA, einschließlich der verbündeten NATO, überreden sollten … darüber will heute wohl auch keiner mehr ein Wort verlieren. Nazideutschland ist nur ein Gedankenpunkt, den Charlotte Roth wieder in Erinnerung bringen möchte. Humanität jedoch der viel wichtigere sein sollte. Sie hat es drauf, die Augen zu öffnen, wo man sie vorher gerne verschlossen hätte und schiebt noch ein richtig gutes Buch nach. Die Frau ist der Hammer. Liebe Leser-Innen, macht den Amboss.
(Knaur)

ISBN 978-3-426 -52030 -7 589 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A)

CHARLOTTE ROTH – Bis wieder ein Tag erwacht – Archiv April 2018