BUCHCOVERREZENSION
Roth.c BisWiederEinTagErwacht

CHARLOTTE ROTH –

Bis wieder ein Tag erwacht

Charlotte Roths Werke gehören in jedes Zuhause-sein-und-Wohlfühlen-Bücherregal, genauso wie  Besteck und Geschirr in eine Küche. Und die Katze zum Bücherkonsumenten, die sich beim Lesen, auf dem Schoß, nach ein bis mehreren Pirouetten drehend (Lieber Herr Andreas Föhr! Vielen Dank von hier aus, für diese präzise Darstellung, die hier auch dankbar ausnutzt wird. Wenn man Katze hat, kennt man das.) dann  schnurrend niederlässt und zufrieden schnarchend den „Lieben Gott“ einen guten Mann sein lässt, plus der Lichtquelle, die den Lümmel-Platz des Lesenden erleuchtet. Gehört einfach alles dazu. An Charlotte kommt man, heute, nicht mehr vorbei. Daran ist nichts zu rütteln. Und, wenn ein neuer Tag erwacht, dann sowieso nicht. Nathalie ist gefangen, in den Wirren des II. Weltkrieges. Die, bis hierhin, größte Katastrophe der Menschheit zieht Kreise, die man nicht wirklich ahnen konnte, oder eher nicht ahnen wollte. Und auch heute, kaum noch nachvollziehen kann. Wir waren ja nicht dabei und die Geschichtsschreibung, die uns heute eine Zukunft weisen sollte, hinkt ja immer, recht spektakulär, dem Willen der Sieger nach, die uns die Geschichte vorgeben wollten und, auch heute noch, wollen. Gerne Ur- und Tatsachen verschweigen werden! Oder zurechtbiegen. Charlotte versucht hier, etwas aufzuräumen. Nathalie ist die Tochter eines französischen Gelegenheitsarbeiters, der mehr vom Leben erhofft hatte, als sein Tagelöhner-Dasein, und einer deutschen Hotelangestellten, die, zur Geburt ihres Kindes, ihrem Mann in dessen Heimat, die Provence, folgt. Der I. Weltkrieg ist nah, schon zu erkennen. In diese Zeit hinein, wächst Nathalie Delage auf, mit ihren Freunden, Kindern ihrer Zeit. Den adligen Brüdern Didier und Fabrice, Delphine, einer Bankierstochter, deren Vater sich aus allen Kriegswirren herauskaufen wird, und ihrem „Geschenk“, Salah, einem algerisch abstammenden Jungen, der von Vater Delage engagiert, eher gekauft, wurde, auf Natou aufzupassen. Frau Roth hat dafür genauso beißenden Spott übrig, wie auch farbenfrohe Worte. Ihr Buch geht gut als eine Gesellschaftsstudie durch, nachvollziehbar für Menschen, wie uns, die eine Gnade einer späteren Geburt hatten und diese Zeit nicht durchmachen mussten. Der I. Weltkrieg verdüstert den Horizont, wobei Nathalie und ihre Eltern, jetzt in Frankreich lebend, sich jeden Tag mit Großmutter Rose konfrontiert sehen, die ihrem Sohn, zwar nur eingeschränkt, jedoch seiner deutschen Frau, ihrer Schwiegertochter, und deren Nachwuchs! , eine Art Kriegsmitschuld gibt. Die Bedingungen für eine wirklich glückliche Kindheit sind Natou verwehrt. Sie will keine „Boche“ sein, Mutter könnte vielleicht, immerhin wurde sie ja in Deutschland geboren, aber Oma schert das wenig. Nathalies Eltern sind eher weniger durchsetzungsfähig. Und so ist das Mädel, mehr oder weniger, sich selbst überlassen. Muss ihren eigenen Weg gehen. Parallel dazu kommt Alwin ins Spiel, ein Sohn eines gefallenen deutschen Kavallerieoffiziers. Der Sohn, der durch die Versailler Verträge alles verloren hat. Und jetzt richtig zu kämpfen hat, um seine Familie durch die Nachkriegszeit zu bringen. Beider Wege treffen sich auf der Weltausstellung 1937 in Paris. Wo das nationalsozialistische System, in dem Alwin mittlerweile ein kleines Wasserrädchen geworden ist, noch einmal zeigen wollte, dass es sich an die Bedingungen des Völkerbundes hält, aber, im Hintergrund, seine anderen Ziele schon glasklar definiert hatte. Charlotte Roth hat ein Händchen für Geschichte(n). Und ein untrügliches Gespür dafür, wenn ein neuer Tag erwacht. Auch, wenn jetzt erst einmal die Nacht hereinbricht. Die finsterste Episode der Grande Nation hat ihren Anfang genommen. Die Operation „Sichelschnitt“ beschert der französischen Bevölkerung einen „überlegenen“ deutschen Gegner, der jetzt den „Frieden von Versailles“ rückgängig machen will. Und dieser Gegner hat geprobt. Im spanischen Bürgerkrieg, in Polen… Stimmen, die warnten, wurden verlacht. Obwohl die französische Armee als die stärkste Landstreitmacht der Welt galt, gegen die Idee eines Generalleutnants von Manstein und die, im nach hinein, durchpreschenden Panzerverbände vom „Schnellen Heinz“ Guderian und Erwin Rommel, plus dem, neuentwickelten, Sturzkampfbomber, inklusive der nachfolgenden Infanterie,  und unter Mithilfe der gemeinsamen, völlig versagenden, Kriegsführung der Alliierten, hatten sie keine Chance. Geschlagen in sechs Wochen. „Blitzkrieg par exellance“. Nathalie ist in Paris und sie trifft Alwin wieder, der jetzt ein etwas größeres Rädchen im NS-Apparat geworden ist. Sie ist zwar im Widerstand engagiert, aber Alwin hat einen kleinen Posten, der ihm Zugang zu einigen Dingen ermöglicht. Auch wenn er dabei von anderen, größeren, Rädern, abhängig ist. Charlotte Roth stellt das gegeneinander, und mal ehrlich, Leute. Wie würden wir, die eben nicht vor solche Entscheidungen gestellt wurden, noch nicht, reagieren. „Nie wieder Faschismus“ ist eine gute Forderung. Als solche ist sie auch heute noch aktuell. Nur etwas zu einseitig, wenn man unsere heutige Existenz sichern möchte. Auch heute sind sehr viele hässliche Gesichter unterwegs, die unser Leben gerne auf einen Müllhaufen werfen wollen. Wieder einmal. Nur heißt das nicht mehr Faschismus oder Nationalsozialismus. Heute heißt das Real-, Wirtschafts- oder sonst wie Politik. Wenn man,  beispielweise, am demokratischen Lack des BER in Berlin-Brandenburg kratzt, kann man sich richtig gut vorstellen, wie schnell und einfach, sich so manche Gestalt BER-reichern kann und wird. Die Ziele sind die gleichen. Dem einfachen Volk nur unter anderen Vorzeichen untergejubelt. Frau Roth hatte hier ein Ziel im Sinne, das zum Nachdenken anregen sollte. Charaktere geschaffen, die man mitverfolgen kann. Und hier sollte man auch weiter denken. Hammermäßiges Buch, ohne Fragen.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-51840-3  688 Seiten  10,99€ (D)  11,30€ (A)
 
CHARLOTTE ROTH – Als der Himmel uns gehörte – Archiv Aug. 2015
CHARLOTTE ROTH – Weil sie das Leben liebten – Archiv Dez. 2016
ANDREAS FÖHR – Eisenberg – Archiv Dez. 2017

SPIEGEL-TV-DVD - „Die Blitzkrieg-Legende - Frankreich 1940“
(als Quelle mitverwendet,  und von hier aus, vielen Dank!)