BUCHCOVERREZENSION
Rothc WirSehenUnsUnterDenLinden

CHARLOTTE ROTH –

Wir sehen uns Unter den Linden

Charlotte legt wieder ein Meisterwerk vor. Oder nach? Das liegt, vermutlich, im Auge des Betrachters. Sollte aber nichts Neues sein. Wir hatten schon mal, auf dieser Seite durchblicken lassen und empfohlen, Platz für ihre Bücher zu machen, sobald sie das Tageslicht erblicken. Räumt den Fernseher beiseite, besser noch, schmeißt das Teil ganz raus. Den braucht doch heute eh keiner mehr. Auch wenn die Vollpfosten von der GEZ, pardon, heute heißt das ja, bürgerfreundlich, Rundfunkgebührenbeitrag, obwohl das wohl eher an adlig-selbstverständliche Einforderungen, a la Frondienste und die erste Nacht mit der Braut, aber auch stark an Traditionen einer, vergangenen nationalsozialistischen, Ära erinnert, das ganz anders sehen wollen. Trotz aller Rechtswidrigkeiten zu den medialen europäischen Normen, wollen diese Kumpels immer noch Geld für Leistungen kassieren, die man nicht mal nutzen will. Wozu? Wer braucht das? Frau Roth schafft es doch, und zwar spielerisch, immer wieder ihre eigenen Ziele, und die, nach dem jeweiligen Vor-Buch gesteckten Erwartungen des Lesers, weit zu übertreffen. Diese Frau wurde von einer Muse geküsst, anders kann man das nicht sagen. Ihre Zeilen sind Wahnsinn und treffen, immer wieder, zielgenau den Nerv des Lesenden. Eigentlich könnten wir die Rezi, hier und jetzt, auch beenden. Was zu sagen war, steht ja schon in den Zeilen. Wer braucht denn GEZ-Fuzzen, wenn man Schriftsteller-Innen und Buchverlage hat, die einem das Leben doch viel anschaulicher darstellen wollen und können, als diese Sozialschmarotzer, die nicht wirklich was auf die Reihe, aber rechtlich, laut den Gerichten eines degenerierten Staates, der BRD, immer wieder, auch noch Recht bekommen. Recht und Gerechtigkeit sind nun mal zwei verschiedene Paar Schuhe und dieser Staat lässt uns das jeden Tag spüren. Dass wir zwei bescheuerte deutsche Staaten nebeneinander hatten, sollte aber auch bekannt sein. Ist Politik. Wir, hier, würden lieber für Schriftsteller zahlen, die uns an eine Vergangenheit erinnern, die man nicht vergessen sollte. Und Charlotte Roth macht das recht ausdrücklich. Sie nimmt die zwischenmenschlichen Beziehungen ins Gemenge. Dafür tobt sie auch diesmal durch die Zeit. Von der Weimarer Republik angefangen, bis ein paar Tage nach dem legendären Ausspruch „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen“. Und hier ist es etwas verquickt. West-Knappe liebt Ost-Braut. Umkehren, den Gang von Gefühlen in eine Grenze zu schalten, sollte wohl vergebene Mühe sein. Da hat Frau Roth auch wenig Verständnis. Liebe kann nun mal grenzüberschreitend sein und hat nichts mit Politik zu tun. Die DDR, egal, die BRD, egal. Kelmi liebt seine „Stalinisten“-Braut Susu und was, bitte, sollte daran verkehrt sein. Ist schon ein bisschen verquer, was Frau Roth hier darstellt, aber dafür ist sie ja bekannt, vor keiner Grenze halt zu machen. Sie liebt viele ihrer Menschen, die ihre Bücher bevölkern und es ist ihr, bei vielen, scheißegal, welcher Couleur sie frönen. Kelmis Onkel war in der NSDAP, ja und? Nur, wer war das damals nicht. Ist Kelmi deswegen jetzt auch ein Kriegsverbrecher? Vermutlich war der Onkel so weltfremd, das er das Wort Nationalsozialismus nicht mal hätte buchstabieren können, selbst unter angedrohter Folter. Sannes, Susus Vater war Kommunist und wurde, buchstäblich, von einer in den letzten Zügen liegenden, sterbenden Bestie, vor ihren Kinderaugen, von den Schergen der GESTAPO erschossen. Dabei war ihre Familie intakt. Trotz des Krieges und aller Entbehrungen war ihre Familie immer eine glückliche Einheit. Die drei Bären in ihrer Höhle. Die Nazis, um die es geht, sind Verbrecher, keine Frage. Kelmis Onkel wollte nur Atlantis finden, die sagenumwobene Stadt, die irgendwann einmal, in grauer Vorzeit, unterging. Das dieser Untergang mit dem Aufstieg einer neuen Rasse von arischen Menschen in Verbindung gebracht werden sollte, war für diesen Mann wohl nicht von Bedeutung. Soweit hat er garantiert nicht mal gedacht. Ist der jetzt wirklich ein Kriegsverbrecher? Kann man wohl getrost verneinen. Charlotte Roth fegt durch ihre Seiten, wie ein frischer Besen. Gibt Gedanken frei, an die man heute kaum noch Zeit geben würde wollen. Handys mit Internetzugang, wo man sich gegenseitig in sozialen Netzwerken anpöbeln kann, oder sein neues Haustier, per Bild und Ton, präsentiert, oder noch viel schlimmer, seine eigene Dämlichkeit minutiös dokumentiert, scheinen ja wichtiger geworden zu sein. Gedanken sind frei. Sollte so sein. Nur, nachdem was Frau Roth hier auf dem Schreibtisch abgelegt hat, sollte auch der treueste DDR-Anhänger mal nachdenken. Eigentlich hat dieser, damals junge, Staat zwar einen guten Weg eingeschlagen, nur die Konsequenzen waren irgendwie nicht mit dem eigentlichen Plan kompatibel. Politik! Schon klar, dass hier wieder Pferd auf das Set gerufen wird. David Gilmans, upps, Sir Thomas Blackstones Bastardschlachtross, das seinem Reiter, im „Hundertjährigen Krieg“, verdammt lang her? mal eindeutig eingeschärft hat, das Gerechtigkeit nicht gerechter wird, wenn man noch mehr Gräueltaten verübt. Irgendwie ist das aber auf fast allen Seiten, in der Nachkriegszeit der größten deutschen Katastrophe seit Menschengedenken, wohl vergessen worden. Charlottes Figuren haben das nicht. Dementsprechend ist ihr Masterpiece „Wir sehen uns Unter den Linden“ sehr breit gefächert und bekommt Suchtcharakter, da man dieses Buch wohl mehr als nur einmal in die Finger nehmen wird. Also handbequem verstauen. Hier werden doch selbst die härtesten Nazis zu überzeugten Antifaschisten und die abgehobene SED-Führung zu Demokraten. Frau Roth kann schon sehr überzeugend sein und sie schreibt auch keine Bücher, um auf Tränendrüsen zu drücken. Sondern stellt Schicksale dar, wie sie waren. Und das ist wichtig. Leider spielten unsere damaligen Politiker nicht mit. Sie haben vergessen! Alle! Die heutigen haben es aber auch nicht besser drauf. Diese Demokratie ist nicht das, was sie sein sollte. Was immer auch unsere Demokröten wieder für uns ausbrüten wollen, für UNS! kann DAS! nicht gut sein. …Charlotte hätte dieses Buch früher schreiben sollen? … Auch die heutige Politik steht (Eindeutig!) für Menschenverachtung. Daran wird auch sie nicht wirklich etwas ändern können. Aber aufrufen. Und das kann sie wirklich gut.
Wir stehen für Frau Roths Idee, Liebe unter den Menschen zu fördern. Wir stehen für einen humanistisch annehmbaren Umgang miteinander. Und das könnte so einfach sein, wenn man sich gegenseitig respektieren würde. Dazu die Musik einer engagierten Band. Müssen wir noch mehr sagen?
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52235-6 515 Seiten (mit dickem+) 9,99€ (D) 10,30€ (A)

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