BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

CHRISTOPH REUTER –

Wir waren glücklich hier

Herr Reuter schrieb für „Die Zeit“ und den „Stern“, derzeit jedoch für den „Spiegel“, seit 2011. Herausgehoben wird, das er immer mit zu den letzten Journalisten gehört, die regelmäßig aus Krisengebieten, gerade aus den arabischen Regionen noch berichten, wo andere schon längst das Handtuch geworfen haben. Seit zwanzig Jahren berichtet er, in Abständen, aus Afghanistan. Als eine Art Zwischenstation kann man dieses Buch sehen, das dieses Jahr herauskam. Mit dem Untertitel „Afghanistan nach dem Sieg der Taliban“, ein Roadtrip. Ja, es ist schon eine Art Reisebericht, allerdings ist der nicht dafür geeignet, Urlauber zu inspirieren, sondern ist mehr ein Spiegel dessen, was dort gerade an der Tagesordnung ist und eine Betrachtung dazu, wie krachend die Politik der westlichen Welt in diesen Landstrichen gescheitert ist. Ein Land, wie Afghanistan es darstellt, wild, unberechenbar, oftmals von der Natur nicht wirklich bevorzugt, aber der Lebensraum von Menschen, unterschiedlicher Stämme und Nationalitäten, hier wollte der westliche Wertedemokratie-Demagoge mal Ordnung in seinem Sinne hinein und den Afghanen Glückseligkeit bringen. Die deutsche Demokratie wird auch am Hindukusch verteidigt, weswegen auch deutsche Soldaten dort sterben durften. Als die Überlebenden wieder nach Hause kamen, wurden sie noch nicht einmal von der Regierung als Heimkehrer begrüßt, so peinlich müssen unsere Regierigen berührt gewesen sein, das man sang- und klanglos abziehen musste, ohne den afghanischen Einheimischen die Vorteile einer „Demokratie“ nahebringen zu können. Christoph Reuter hat recht ansprechende Worte, auch wenn das mehr am Rande geschieht. Im Zentrum seiner Reportage stehen natürlich die gegebenen Umstände, die jetzt vorherrschen, nachdem sich die Herren Taliban als Regierung begreifen wollen. Und hier wird es unfreiwillig komisch. Herr Reuter kann nicht wirklich von seinem Vorurteil, die Taliban sind die Bösen, wegkommen, muss aber anerkennen, das die Truppe zumindest für Ruhe im Land sorgt. Das sie nicht wirklich regieren können, teilweise können sie ja noch nicht mal lesen, steht auf einem anderen Blatt. Derzeit ist es in den Nachrichten ja wieder etwas ruhiger um dieses Land geworden, aber wahrscheinlich nur deshalb, weil der Westen dort keinen Blumenstrauß mehr gewinnen kann. Dafür können gerade wir in der Bundesrepublik uns mit Zuwanderern beschäftigen, wobei Christoph Reuter, vor Ort immer wieder die Frage gestellt bekommt, wenn alle abhauen, wer baut dann dieses Land wieder auf? Eine Frage, die sich wie ein roter Faden durch seine Reise zieht, weil in vielen Regionen sich ein Trend durchsetzen möchte, der eine Abwanderung nach sich zieht. Die Folgen sind katastrophal. Das die Taliban dazu einen großen Beitrag leisten, unbestritten. Teilweise sind sie auf den Spuren der Europäischen Union, indem sie ein Mindestgewicht für Hühner festgelegt haben. Wiegt so ein Federvieh etwas weniger, darf der Bauer das nicht verkaufen, sondern muss es wieder mit nach Hause nehmen. War der Weg zum Markt in diesem Land schon eine logistische Strapaze, kann man sich ja ausrechnen, wie sauer der Bauer sein muss, wenn er unverrichteter Dinge wieder nach Hause muss. Das nur am Rand. Sonst sind die politischen Bedingungen sehr verworren und es ist eine Irrfahrt, dort durchsehen zu wollen. Da wir keine Ambitionen und Kompetenzen dafür haben, werden wir auch jedes Werteurteil umschiffen, wir sind nicht vor Ort. Das muss bei Christoph Reuter bleiben.
(Spiegel Buchverlag)

ISBN 978-3-421 –07005 – 0 320 Seiten (mit+) 25,00 € (D) 25,70 € (A)