BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

MARC ELSBERG –

Zero

Dystopie ist ja kein Thema mehr, dass nur in Büchern oder auf Symposien diskutiert wird, von weltfremden Spinnern, die mit Ringelsocken durch die Welt laufen. Dystopie ist längst Wirklichkeit geworden, auch wenn Marc Elsberg das vorläufig noch in seinen Buchseiten verpackt, aber was und wie er es darstellt, jagt einem Schauer über den Rücken, wenn man erkennt, wie gefährlich nahe wir schon am Abgrund stehen. Oder doch schon einen Schritt weiter sind? Der Untertitel lautet „Sie wissen, was Du tust“. Marc Elsberg zeichnet ein düsteres Bild für Menschen, die als Schlafschafe durch die Botanik geistern, die nichts mehr miteinander gemeinsam haben, als das sie von gesellschaftlichen Normen in Gatter gezwängt werden, ohne das sie das auch nur merken. Im Hintergrund von Plattformen agieren andere, die ihnen etwas vorgaukeln, was eigentlich gar nicht da ist. Es werden Wünsche geweckt, von denen man nicht mal wusste, das man sie haben könnte, es werden Daten gezogen, von denen man der Meinung ist, ich habe doch nichts zu verbergen, deren Brisanz man nicht erkennt, weil irgend jemand den Blick darauf verschleiert hat. Und man ist, rund um die Uhr, verfolgbar. Wann stehe ich auf, wann schütte ich mir meinen ersten Kaffee in den Hals, wann gehe ich zur Arbeit, aber auch, wie geht es mir heute. Habe ich Druck im Magen, ist meine Körpertemperatur normal oder erhöht, fühle ich mich krank oder gesund. Daten also, die keinen Fremden etwas angehen sollten, maximal die Hausärzte, die wir aber, mehr oder weniger leichtsinnig, preisgeben, durch kleine oder große Anreize, wie Bonuskarten, Plattform-Profile oder wie in der heutigen Zeit ja brandaktuell, gezwungen sind, Daten, die keinen etwas angehen, offen legen müssen, weil der Gesetzgeber das so angeordnet hat, herzliche Grüße aus Nordkorea. Aber bleiben wir bei dem „freiwillig“. Viele Jugendliche, aber auch Erwachsene, lassen sich treiben, nehmen Angebote an, von Leuten, die man nicht kennt. Darunter einige Geräte, die einen im Alltag ausspionieren werden und die Daten im zeitnahen Durchgängen lückenlos an die Server von solchen Überwachungsvereinen senden, wo sie, ohne viel Federlesens, weiterverarbeitet werden, um klare Ergebnisse über die überwachte Person aufzulegen, was dann soviel heißt, das der freundliche Mensch oder die Programme und Algorithmen sehr schnell zu Erkenntnissen gelangen, die man selbst noch gar nicht auf dem Schirm hat. Cynthia Bonsant ist Journalistin, noch von der alten Schule. Beim „Daily“ gilt sie deshalb schon als Dinosaurier, dem man besser einen Gnadenschuss geben sollte. Wenn da nicht jemand andere Pläne hat. Ausgerüstet mit einer Datenbrille soll sie jetzt ihre Tätigkeit etwas modernisieren. Das man ihr, selbstredend unauffällig, dabei auf die Finger sehen will, steht auf der Rückseite vom Blatt einer beruflichen Zukunft. Vor allem deshalb, weil man beim „Daily“ zu einer Treibjagd aufgerufen hat, deren Ziel der sagenumwobene „Zero“ ist, einem, oder auch mehrere, Warner in einem total überwachten System, in dem es nur wenige Schlupflöcher gibt. Leider fällt das Teil ihrer Tochter in die Hände, die das natürlich zeitnah ausprobieren möchte und das natürlich auch, im Kreise ihrer Freunde. Abwechselnd im Gebrauch dieses Gerätes ziehen sie durch Londons Straßen, ohne zu wissen, das sie elektronisch verfolgt werden. Und sie liefern die Daten ja auch noch frei Haus, an ihre Internetplattform, die neben Datenauswertung auch noch „gute“ Ratschläge gibt. Dabei laufen sie einem Verbrecher über den Weg, der von der Datenbrille eindeutig identifiziert wird. Was diese Brille nicht sagt, ist der Status des Delinquenten, steht er auf dem Schirm einer Verfolgung oder nicht. Statt sich zurück zu halten, nimmt man die Verfolgung auf, will den Helden spielen, obwohl man vor kurzer Zeit noch ganz anders gedacht hat. Adam wird erschossen, live vor der Kamera der Datenbrille, die er auf der Nase hat und diese Bilder gehen viral. Aber auch im Hintergrund ist man aufgescheucht, da Adam anders reagierte, als man es sich gewünscht hätte, aber diese Leute sind für uns noch unsichtbar. Inmitten dieser Katastrophe stehen jetzt Cynthia, ihre Tochter Vi und noch einige andere Menschen, so Eddie, der ins Nachdenken kommt und plötzlich eigene Nachforschungen anstellen möchte, ohne zu ahnen, das er sich selbst damit ein grellrot leuchtendes Fadenkreuz auf Stirn und Rücken malt. Marc Elsberg hat flammende Worte, was diesen Zustand angeht und zeigt recht deutlich, das vermeintliche Wohltäter alles andere sind, nur keine Philanthropen, sondern Leute, denen das Leben von anderen Menschen so egal ist, wie beispielsweise ein vertrockneter Grashalm. Dabei verpackt er die Handlung in einen fesselnden Roman, in dem man sich wieder erkennt, da man ja selbst in Zeitzyklen und gesellschaftlichen Bedingungen fest sitzt, die einen knebeln wollen, und viele Menschen auch gar nicht das Bedürfnis haben, aus diesen heraus zu springen. Cynthia ist gezwungen, dieses Hamsterrad zu verlassen, da sie selbst in die Schusslinie gerät. Ihre Recherchen bringen sie an Punkte, bei denen sie den grauen Eminenzen in Hintergrund viel Besorgnis ins Haus bringt, was denen, natürlich nicht recht ist. Öffentlich zu werden ist nicht in ihrem Interesse, könnte es doch ruchbar werden, das die Menschen, die sie für ihre Zwecke und Ziele missbraucht haben und noch weiter ihres Lebensziel Zweck entfremden wollen, vielleicht doch aufwachen. Beeindruckendes Buch von Marc Elsberg, auch wenn man, und das nicht nur nebenbei, sondern lautstark und vehement betonen muss, das es auch sehr bedrückend ist, was er schreibt.
(Blanvalet-Penguin)

ISBN 978-3-7341 –1131 – 0 471 Seiten (Sonderedition) mit viel Bonus