BUCHCOVER | REZENSION |
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KRISTINA ENGEL –Ein Koffer voller SchönheitManchmal ist man die Windschutzscheibe, manchmal das Insekt. Dieser Ausspruch von Mark Knopfler bewahrheitet sich ja immer wieder. Das gilt auch für die Zeit des bundesdeutschen Wirtschaftswunders im Jahre 1960. Anne und Benno Jensen haben sich in den Kriegswirren in Lüneburg kennen gelernt und sind dann, später, ein Paar geworden und auch der Nachwuchs lies nicht lange auf sich warten. Nun ist aber noch nicht alles Friede und Freude, vom Eierkuchen ganz zu schweigen. Posttraumatische Belastungsstörungen sind zwar auch schon im Blickwinkel von Medizinern, wenn auch unter einem anderen Namen, aber noch ist das Gesundheitssystem nicht flächendeckend entwickelt und man befindet sich im Aufbau einer komplett neuen Gesellschaft, die mit ihren neuen Grundwerten ein Mahnmal setzen soll. Nie wieder Faschismus! Ein Punkt im Leben, den Kristina Engel immer wieder geschickt einfließen lässt. Anne und Benno haben die Schnauze vom Krieg gestrichen voll und außerdem eigene Sorgen. Die liebende Ehe- und Hausfrau, noch etwas inaktiv was eine eigene Karriere angeht, was um diese Zeit ja auch die Mehrheit war, von wegen das Heimchen vor dem Herd und im Kampf mit den Windeln auf der einen Seite. Ihr gegenüber ihr liebender Ehemann, der noch traumatische Erlebnisse aus dem Krieg verarbeiten muss und dessen Geschäftspartner jetzt auf einen Zug aufspringen möchte, der zu Wohlstand und gesellschaftlicher Akzeptanz führen soll, wobei Benno eigentlich eher ein Handwerker, sprich Möbeltischler ist, als ein Geschäftsmann, so dass sich Karl zu verselbständigen hofft und das kann leicht ins Auge gehen. Nebenbei muss man den Nachwuchs daran erinnern, woher das alles kommt, weil der es jetzt für selbstverständlich nehmen möchte, das es mit den Befriedigungen der Bedürfnisse auch mal bergauf gehen könnte. Und Anne´s Schwiegermutter lebt das vor. Wenn man die heutige Zeit betrachtet, wo ein jedermann mit einem Mobilfunkgerät in der Tasche herumläuft, kann man sich Zeiten mit einem Festnetzapparat auf einem Telefontischchen nur noch schwer vorstellen und welch eine Revolution das für ihre Besitzer und Benutzer war, könnte sich dem heutigen Verständnis vollständig entziehen. Oder die Anschaffung eines Fernsehapparates, eines Autos, diverser Küchengeräte, das war damals alles noch Zukunftsmusik, die sich gerade so hinterm Horizont hören lässt. Was gleich geblieben ist, zu heute, sind die Sorgen und Nöte, aber auch die Freuden eines Familienlebens, wenn es denn funktioniert. Grätscht da jemand zwischen, dann hängt der Haussegen genauso schief, wie heute. Hier hat sich also nichts geändert. Genau wie die Abneigung gegen löslichen Kaffee. Was man noch beachten muss, ist die damalige Rollenverteilung der Geschlechter. Mann geht arbeiten, Frau putzt zuhause, betreut den Nachwuchs und sorgt dafür, das der Ernährer der Familie nicht verhungern muss. Eine Rolle, mit der sich jetzt immer mehr Frauen nicht mehr abfinden wollen, auch wenn da so manches Argument vorgebracht wird, das man so weiter machen sollte, wie man das schon immer gemacht hat. Nur lebt Fortschritt nicht von der Stagnation und das weibliche Geschlecht wird emanzipierter. Was für so machen Patriarchen, in dieser Zeit, bedeutet, dass er so einige Kröten schlucken muss. Da werden einige Männer ziemlich zu knabbern gehabt haben. Wenn jetzt jemand denkt, das hier ist ein langweiliger Familienroman, dem sei beschieden, mitnichten. Kristina Engel bindet ein starkes Paket zusammen mit, ganz klar, Familienlektüre, aber auch ein Stück Wirtschaftskriminalität kommt nicht zu kurz und so einige andere Themen werden verwoben, so das dieses Buch ein buntes Leseerlebnis wird, mit den Wegen von Menschen, die durchaus gelebt haben könnten, mit Wahrheiten, die auch heute noch gültig sind, siehe Mercedes-Fahrer oder Schminktipps, die noch nicht wirklich ausgegoren sind und bei denen Anne sich jetzt selbstständig machen möchte, um aus voll gekleckerten Frauen wahre Schönheiten zu machen und so deren Selbstwertgefühl zu heben, wobei das bei einigen Frauen eigentlich nicht nötig zu sein scheint. Aber hier kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, wie Annes Schwiegermutter Margarethe das weise anmerkt. Auch Anne wächst mit ihren Aufgaben. In der damaligen Zeit noch ein Novum. Nun, wenn wir schon eingangs Mark Knopfler erwähnt haben, Dire Straits eignen sich immer als eine musikalische Untermalung beim Lesen, egal zu welcher Zeit. |