BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

AGNES LOVISE MATRE –

Das Schweigen des Fjords

Bengt Alvsaker ist Polizist in Skipadalen, Norwegen. Sein Leben läuft, noch, in ruhigen, beschaulichen Bahnen. Allerdings hat seine ehemalige große Liebe jetzt den Plan ihm seinen Sohn vorzustellen, der vor elf Jahren das Licht der Welt erblickt und den er noch nie vorher gesehen hatte. Aus dem Stehgreif soll Bengt jetzt eine Vater-Sohn-Woche einläuten, obwohl er mit Kindererziehung nun gar nichts am Hut hat. Seine Erfahrungen beschränken sich auf den eher oberflächlichen Umgang mit den Nachbarskindern. Das ist eine denkbar schlechte Basis, aber Alvsaker gibt sich Mühe, richtet ein Zimmer her und harrt der Dinge, die jetzt kommen mögen. Bevor Thomas jedoch in Skipadalen auftaucht, verschwindet der Junge von nebenan, Anders. Bengt ist ihm noch am Sonntagmorgen begegnet, wo der Junge, im Pyjama!, auf dem Weg zu einer Bekannten war. Jetzt ist er weg. Statt sich um seinen Sohn zu kümmern, muss Herr Alvsaker die Suche nach einem vermissten Kind einleiten und die Zahl der Verdächtigen, die man periphär einarbeiten möchte, ist doch erstaunlich hoch, wenn man sich die Bevölkerungsdichte mal vor Augen hält. Bengt Alvsaker läuft auf Höchsttouren, aber leider auch ins Leere, weil man das Offensichtliche immer noch ignorieren möchte und auch gangbare Spuren nicht gerade üppig da sind und so manche erweist sich als eine Sackgasse, aber man ermittelt in alle Richtungen. Zeugen gibt es keine, zumindest keine, die zu Aussagen bereit wären. Der Rest ist Schweigen. Agnes hatte, beim Schreiben, doch einen Schelm mit am Tisch und sie braucht auch keine Schwerverbrecher, Drogendealer und ähnliche Gestalten, um eine spannende Geschichte zu erzählen. „Das Schweigen des Fjords“ ist ein Drama, wie es jeden Tag passieren kann, an jedem Ort der Welt. Man hat etwas übersehen, nicht genau hingeschaut und, was noch viel schlimmer ist, jemand hat Druck ausgeübt, auf kleine Menschen, die abhängig sind und sich nicht wehren können. Für Anders wird jede Hilfe zu spät kommen. Aber noch jemand ist höchstgradig gefährdet. Das hat jedoch noch keiner auf dem Schirm und der mentale Druck auf diese kleine Person wird immer größer. Daran können, gerade kleine Menschen zerbrechen, aber die fragt ja keiner. Agnes schildert eine, sagen wir mal, alltägliche Situation, die durchaus häufiger vorkommt, aber gerne hinter den Wahrnehmungshorizont geschoben wird und dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, fragen sich alle, warum. Musikalische Untermalung? Für ihren ersten Roman, den man in die deutsche Sprache übersetzt hat, kann man dann auch eine deutsche Band nehmen. „Ost+Front“ mit „Schau ins Land“. Der Titel geht etwas weiter, „schau nicht vorbei“, erinnert an Andreas Franz. Wenn Kinder zu Opfern werden, dann sollte man genauer hinschauen und das hat doch nichts mit Überwachung zu tun. Kinder können sich nur höchst selten aus eigener Kraft wehren. Und dann besteht auch noch die Gefahr, dass man sie als abartig einstuft. Wer glaubt schon missbrauchten Kindern, wenn der Erwachsene, der obendrein noch in der Gesellschaft akzeptiert und anerkannt ist, dann abwiegeln möchte. Wahnsinn, wie die Gesellschaft daran vorbeischauen will, weil der Butter- oder Goldpreis plötzlich interessanter sein soll oder die Zahlen, plötzlich und hyper bedrohend, über den Covid-19-Virus wieder über die Medien laufen. Agnes Lovise hatte diese Erkenntnisse noch nicht auf der Agenda, und wenn, dann wäre es ihr auch scheißegal gewesen. Anders hat sie geopfert, für die Aufmerksamkeit, und den Spannungsbogen. Gut, das der kleine Bengel nicht wirklich da ist, nur … wie viele Kinder haben genau dieses Problem. Und wie viele Menschen schauen daran vorbei?
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52264-6 411 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)