BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

THOMAS FINN –

Bermuda

Herr Finn ist gern und oft unterwegs, wenn es darum geht, unerklärliche Dinge zu offenbaren, oder, zumindest einen Weg zu finden, der solche Phänomene zwar nicht wirklich erhellen könnte, aber doch einige erklärenden Worte dazu abgeben möchte. Der Mann hat Fantasie ohne Ende. Das seine eigenen Gestalten ihn noch nicht eingeholt haben, grenzt aber an ein Wunder. Immerhin gibt er Identitäten preis, die eigentlich vor uns verborgen bleiben sollten. Dafür er wechselt aber auch öfter mal den Tatort, vermutlich nicht ohne Grund. „Dark Wood“ war ja auch so ein Thema, aber Norwegen ist heute weit entfernt. Jetzt schippert Finn am Bermudadreieck lang, das doch sattsam bekannt ist, für das Verschwinden von vielen Dingen, die man dann doch nicht im Fundus der Deutschen Bahn wiederfinden könnte. Thomas Finn ist fasziniert vom Bermudadreieck und dessen berüchtigten Ruf, den es hat, als eine Falle für jegliche Lebensform zu gelten, wo sich Naturgesetze nicht mehr an ihre Basis halten, sondern komplett auf den Kopf gestellt werden. Hierher verschlägt es, im Jahr 1533, eine kleine Gruppe von Konquistadoren, die so unvorsichtig waren, den dort ansässigen Indios in die Hände zu fallen. Und die machen mit solchen Gefangenen kurzen Prozess, verständlich. Wie Herr Finn das auf den ersten Seiten anschaulich schildert, nutzen sie dazu auch Geheimnisse die das Bermudadreieck in sich birgt. Für die virtuellen Spanier war das der letzte Zapfenstreich und deswegen hält sich Thomas Finn hier auch nicht lange mit deren Schicksal auf. Wenn man heimisch in solchen Gefilden ist, kann man durchaus einen Vorsprung an Wissen haben, der einem Vorteile bringt. Etwas, wo Thomas jetzt anknüpfen will. In der heutigen Zeit. Dazu lässt er einen Kreuzfahrtdampfer havarieren und so einige Schiffbrüchige dürfen jetzt die zweifelhafte Aussicht genießen, auf einer einsamen Insel, die es scheinbar noch nicht mal geben soll, sprich auf keiner Karte verzeichnet ist, gestrandet zu sein. Die Gruppe ist recht gemischt und so prallen gegensätzliche Ansichten frontal aufeinander. Herr Finn hat nicht nur Interesse an den Besonderheiten der Region, er sucht auch die zwischenmenschlichen Beziehungen zu erkunden, die bei solchen Ereignissen ganz schnell auf die Tagesordnung treten werden. Dabei hatten sich Alex und sein Kumpel Jochen so sehr auf den Urlaub ohne Sorgen gefreut. Nach seinen traumatischen Erlebnis, wie ihm die Freundin ausgespannt wurde, für Alex die willkommene Abwechslung, auch wenn er andere Formen des Reisens bevorzugt hätte, mit Recht, wie man im Laufe des Buches sehen wird. Nur, wenn man seine Reise ohne seinen Schriftsteller buchen möchte, kann der ganz schön pampig reagieren und aus einem Gute-Laune-Trip wird ein Spießrutenlauf. Und Alex hat es noch gut. Er überlebt den Hurrikan, in dem die „Sea Quest“ havarieren wird. Mit ihm noch eine Handvoll Passagiere und ein paar Leute vom Schiffspersonal. Und die werden Robinson Crusoe jetzt beneiden. Der war zwar auch einsam gestrandet, aber auf seiner Insel gab es nicht viele gefährliche Momente und feindliche Lebensformen waren auch noch nicht da. Die kamen erst, als er sich schon gut eingerichtet und aufgerüstet hatte. In diesem Punkt hat es Daniel Defoe doch gut mit ihm gemeint. Im Gegensatz zu Thomas Finn, der seine Gruppe Schiffbrüchiger völlig unvorbereitet auf dem Eiland aussetzt, auf dem alles anders ist, als irgendwo sonst auf diesem Planeten. Die Natur steckt voller Bosheiten, die einem verwöhnten Zivilisations-Homo-Sapiens das bis hierhin bequeme Leben recht nachhaltig vergällen können. Nicht überall auf diesem Lebensraumschiff kommt Wasser aus der Wand, wo dann praktischer Weise ein Becher daneben steht und die Erfindung des Supermarktes hat sich bis zu diesem Flecken Erde im Atlantik auch noch nicht herumgesprochen. Die Nahrungssuche ist also eine Tagesaufgabe und der Stoffwechsel muss sich auch etwas neues einfallen lassen, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Da kann so mancher Mensch, der ein WC sein eigen nennt, recht schnell überfordert sein, da Toilettenpapier und Privatsphäre sich als Mangelware entpuppen. Und das sind noch die kleinen Unannehmlichkeiten. Im Gegensatz zu Robinsons Insel spielen hier die Naturgesetze richtig Scheibe. Die Relativitätstheorie von Albert Einstein macht Platz für Heisenbergs Unschärferelation. Menschenfeindliche, eher Menschen fremde, Lebensformen haben sich diese Insel zu ihrem Tummelplatz erkoren. Die Gesetze von Zeit und Raum haben ein neuen Spielplatz aufgebaut, und der ist nicht auf den Ideen von Ikea gewachsen. Die heimischen Indios, und auch die Maya, hatten einen gesunden Respekt vor den Gegebenheiten, hielten viel Abstand. Die Gruppe von Schiffbrüchigen ist da nicht ganz so gut gerüstet. Sie sind komplett ahnungslos, was sie erwartet. Und machen das, was Menschen immer machen werden. Statt zusammen an einem Strick zu ziehen, werden so einige Gestalten ihre eigenen Ziele verfolgen wollen. Auch wenn seine Relativitätstheorie nur noch bedingt wirksam zu sein scheint, hat Albert Einstein doch mal Worte geäußert, das sich niemals widerlegen lassen werden. An der Unendlichkeit des Weltalls hatte er Zweifel, an der der Dummheit der Menschen nicht. Thomas Finn tritt in seine Fußstapfen. Er wird zwar kein Physiker, aber als Schriftsteller zieht er diese Linie weiter.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-22719-0 522 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A)

THOMAS FINN – Dark Wood – Archiv August 2016