BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

OLIVER HILMES –

Das Verschwinden des Dr. Mühe

Oliver Hilmes konnte ja schon einige Male glänzen und auch gute Rezensionen einfahren. In Sachen historischer Romane hat er schon ein, zwei Seiten sehen lassen. Sein neuer Roman beschäftigt sich, wie auf dem Titel steht, mit dem Verschwinden des Dr. Mühe. Und diesem geht er auch akribisch nach. Herr Dr. Mühe betreibt eine Praxis als Hausarzt in Berlin-Kreuzberg. Wir schreiben das Jahr 1932. Noch schaut der praktische Arzt in Augen, Nase und Ohren, was er weiterhin macht, bleibt jedoch etwas schleierhaft. Er ist wohlhabend und kann sich Güter leisten, die seine Praxis eigentlich nicht abwerfen würde. Man munkelt. Seine Ehe ist glanzlos und seine Frau spielt gerade mit ihrem Gesangslehrer herum, ein Umstand, der dem Arzt zwar bekannt sein dürfte, aber das perlt irgendwie von ihm ab. Er hat andere Dinge zu erledigen. Von späten Praxisbesuchern zu versorgen, bis zu Hausbesuchen zu dubiosen Zeiten, Dr. Mühe scheint ein gefragter Mann zu sein. Und die Zeit steht im Zeichen der demokratisch bemühten Kräfte eine direkte Konfrontation mit nationalistischen und auch internationalistischen Wortführern von politischen Kraftabteilungen zu vermeiden. Am Vorabend des Wahlsieges der NSDAP im Januar 1933 ein eher fatalistisches Unterfangen. Den wartet der Arzt aber nicht ab. Im Sommer 1932 verliert sich jede Spur und Dr. Erich Mühe ist unsichtbar geworden. Dem wenigen, was als Fakten zur Verfügung steht, sollen sich jetzt die Berliner Polizisten stellen, die mit diesem Vermisstenfall betraut werden. Kommissar Keller ist ein talentierter Kriminalist, aber er beisst ziemlich glücklos auf diesem Fall herum. Trotz akribischer Polizeiarbeit, Keller und seinem Assistenten Schneider bleibt die erfolgreiche Aufklärung versagt. Die Akten werden von Monat zu Jahr weiter in die Cold-Case-Ecke gedrückt und nach dem Wahlsieg der Hitlerpartei wird richtig rumgemauschelt. Oliver Hilmes drückt sich recht farbenfroh aus, was dann das angeht, was man als Fall darstellen möchte. Eine wirkliche Verfolgung ist kaum mehr möglich. Der Fall Herr Dr. Mühe ist doch sehr speziell. Wann immer man ein Zipfelchen zu fassen bekommt, löst sich das in Wohlgefallen auf. Die Spur des Arztes verliert sich 1932 am Sacrower See. Das Frau Mühe schwer erkrankt ist, was ihrem Mann hätte auffallen müssen, immerhin ist er Mediziner, aber nichts passiert, außer das Frau Mühe verstirbt, gibt dann auch zu denken. Es gibt zwar einige Ansatzpunkte und die beiden Polizisten sind jetzt noch optimistisch, vor allem weil sich Erkenntnisse herauskristallisieren. Weist doch ein Weg nach Spanien, dass sich am Vorabend eines Bürgerkrieges befindet, ein anderer auf Versicherungsbetrug und noch weitere führen zu dem ehemaligen Gesangslehrer von Charlotte Mühe, aber der ist jetzt ein einflussreicher Nazi geworden. Die jetzige Staatspartei, die NSDAP, lässt auch keinen Zweifel daran, das hier Nachforschungen unerwünscht sind und die Bereinigungsprogramme greifen in vollem Umfang. Der Staatsapparat wird neu gestaltet, regimetreu aufpoliert. Kommissar Keller, an dem dieser Kelch noch vorbeigegangen ist, weil er als politisch inakzeptabel, aber kriminalistisch wertvoll eingestuft wird, juckt öfter mal nach, jedoch die Maulkörbe, die er verordnet bekommt, werden ihn immer wieder ausbremsen. Erinnert einen so richtig gut an die heutige Coronasituation. Es wird einfach etwas vorgegeben, aber nachprüfen kann man es nicht wirklich. Demokratie im Rahmen des Möglichen? Oliver Hilmes kratzt mal am Lack. Dabei bekommt er gute Schützenhilfe von einem der führenden römischen Philosophen, Lucius Annaneus Seneca, dessen Erkenntnisse und Gedankengänge er nahtlos in seine Seiten mit einarbeitet und man glaubt es kaum, das passt immer. Seneca war ein kluger Mann, ohne Frage und Oli Hilmes fühlt sich auch gut beraten, dessen Zitate zu verwenden. Lockert den Verlauf der Buchseiten gut auf. Ist aber nicht hilfreich für Ernst Keller und Assi Schneider, die jetzt durch die Handlanger eines diktatorischen Staates komplett kalt gestellt werden. 1935 findet die Suche nach Dr. Mühe ein vorläufiges Ende. Gerade als eine Spur zu Hugo Rasch, dem Musiklehrer von Charlotte zeigen wird und auch sich Wege aufzeigen, die in Richtung spanischer Bürgerkrieg gehen werden, der 1936 den Probelauf für die Achsenmächte zum II. Weltkrieg einläuten wird. Es wird Jahre dauern, bis wieder jemand seine Nase auf diesen Wind hängen wird. Erst 1946, als die Schwester von Dr. Mühe einen neuen Schub antreiben möchte, kommt man dazu, diesen Fall wieder aufzunehmen. Mit traurigen Ergebnissen. Oliver Hilmes ist zwar bemüht, Licht darauf zu werfen, aber manchmal ist auch solchen talentierten Schreibern der wirkliche Erfolg versagt. Das Verschwinden des Dr. Mühe ist auch heute noch ein Mysterium.
(Penguin)

ISBN 978-3-328-60138-8 236 Seiten 20,00€ (D) 20,60€ (A)

www.doktormuehe.de