BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

THOMAS RYDAHL & A.J. KAZINSKI –

Die tote Meerjungfrau

Wer hätte das gedacht, dass Hans Christian Andersen seine Karriere, die er als Dichter und Tagträumer begann, dann doch unterbrechen musste. Lange bevor Sherlock Holmes seinen Siegeszug durch die Augen und Herzen der Leser begann, hatte H.C. Andersen auch einen Mord, okay mehrere, aufzuklären. Allerdings war er ein Verdächtiger im ersten Fall und sein Leben hing am seidenen Faden. Ob es wirklich so war, sei erstmal dahin gestellt. Das Autorenteam gibt sich jedoch alle Mühe, es authentisch aussehen zu lassen und so hat unser geliebter dänischer Märchenonkel, den man ja gut kennt, aber irgendwie anders, alle Hände voll zu tun, seine Unschuld zu beteuern und nachdem das alles nichts nutzte, sich selbst auf die Spuren zu begeben, die Sherlock Holmes erst Jahrzehnte später für sich und seinen Autor Arthur Conan Doyle entdecken wird. Noch ist H.C. ein kleiner Spinner, dem nur wenige Leute wirklich etwas zutrauen, auch wenn er diesen oder jenen Mäzen, und doch noch so manchen Freund hat. Aber das zahlt sich nicht aus, er ist noch in den unteren Klassen heimisch, die man gerne hin und herschubst, ohne nachzufragen. Deren täglich Brot die Namen Hunger, Not, Elend und gesellschaftliche Ungerechtigkeit tragen und sie kaum Chancen haben, diesem Dreck zu entfliehen. Lasst Euch durch die Namen der Autoren nicht täuschen, es sind drei Schreiber, die jetzt H.C. Andersen auf den Weg eines Privatdetektives bringen wollen. Im Gegensatz zu anderen, priviligierten, Figuren, die ja häufiger in Buchseiten, oder Fernsehserien, auftauchen wollen, kann unser dänischer Märchengott jetzt nicht mal seinen täglichen Bedarf an Nahrung befriedigen, steht ständig auf dem Schlauch und der Mord an der Prostituierten Anna hängt ihm auch im Nacken. Im Knast hört er einen Latrinenmann seine Verse aufsagen, aber so richtig schlau wird er nicht daraus. Bevor er Schlüsse ziehen kann, gibt die Obrigkeit ihm plötzlich die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen. Klar, ist einfacher, als ihm seine Schuld zu dokumentieren, man kann sich zurücklehnen und trennt ihn, permanent, von seinem einzigen relevanten Zeugen. Wenn sich das als Justizirrtum herausstellen sollte, dann hat er schon lange vorher seinen Kopf verloren und danach kräht dann kein Hahn mehr, wenn es dann noch einen geben sollte, der nicht als delikate Speise auf der Fresstafel der königlichen dänischen Familie gelandet ist. Anna war so etwas wie eine Muse für den schlaksigen, jungen Mann mit der großen Nase und wenn man seine Hausaufgaben im örtlichen Polizeirevier ordentlich gemacht hätte, dann wäre der angehende Märchenkönig nie verdächtigt worden. Er ist ja nun alles, aber ein kräftiger Mann, der Lasten, wie tote Menschen, über lange Wege tranportieren kann, ist er garantiert nicht. Interessiert aber die Obrigkeit nicht und wenn man wieder eine arme Seele, samt Hals und Kopf, unter die Axt des Henkers legen kann, dann vergessen auch die untersten Chargen ihren armseligen Alltag und können, kurzfristig, wieder mal ausflippen. Hartz-IV-TV im Jahre 1834. Wenn der Henker dreimal klingelt. Drei dänische Schriftsteller sind auf den Spuren, wie es damals funktioniert haben könnte. Da können wir heute von Glück reden, das sich die Justizlage doch etwas geändert hat. Hans Christian hat diese Chupze nicht. Er erinnert etwas an Pierre Martins Appolinaire, nur hat Andersen keine Isabelle Bonnet neben sich, die doch mehr Möglichkeiten hat, zu agieren und in einer weit ferneren Zeit ihren Dienst durchzieht. Hans ist, relativ, auf sich allein gestellt. Nur Molly, die Schwester des ersten entdeckten Mordopfers steht ihm zur Seite und wenn man das so schreibt, dann können ja weitere nicht weit entfernt sein. Eine andere junge Frau taucht, buchstäblich, aus den Fäkaliengruben vor Kopenhagen wieder auf. Ähnlich zugerichtet, wie Anna. Statt dieser neuen Spur nachzugehen, räumt sich der örtliche Polizeidirektor erkenntnisdienstliche Freiheiten ein, die zwar keiner verstehen, aber von seinem Beamtenapparat auch nicht hinterfragt werden wird und wieder ist Hans der dumme. Seine Zeit läuft rasend schnell ab und an deren Ende zeichnet sich ein Hinrichtungsutensil ab, das sich schon den dichtenden Latrinenmann einverleibt hat. Und nach dem kräht kein Hahn mehr. Ob aus Klugheit, sich nicht zu offenbaren, oder doch mehr aus Gleichgültigkeit, die Hartz-IV-Vorstellung 1834, sprich die öffentliche Hinrichtung, ist ja schon beendet, wer weiß. Wir tendieren mal zu der Annahme, das das Federvieh einfach nur schlauer geworden ist. Lieber familienfreundliches Schweigen, mit glücklichen Hühnern und Küken im Haushalt, als nach einer solchen fatalen Wortmeldung, doch noch als Mahlzeit auf dem royalen Tisch kredenzt zu werden. Gleichgültig zu sein, vor dem Leid anderer, ist ja doch mehr eine Domäne des Menschen, vor allem dann, wenn die eigene Lage richtig scheiße aussieht, oder, und das dürfte häufiger sein, man so richtig selbstherrlich über andere richten kann, ohne selbst je zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Beispiele in der Geschichte dafür sind ja so zahllos, wie Sandkörner am Strand. Hiob hat den Boten hinrichten lassen, die Pharaonen die Baumeister ihrer Grabmäler, und Ingeborg Bachmann sagte mal, das die Geschichte zwar ständig lehrt, aber keine Schüler findet. Oder mit den Worten von Mark Twain zu sagen, der Mensch, das einzige Wesen, dass erröten kann und auch das einzige ist, das Grund dazu hat. Auch wenn so einige Psychopaten von dieser Regel ausgenommen sind. Einschließlich unserer heutigen Politiker und den oberen Zehntausend. Veit Etzold bringt das gerne auf den Punkt, DAS EINE PROZENT. Die zwar genug Gründe zum Erröten hätten, denen das aber am Allerwertesten vorbei geht. Emmerichs Film „2012“ spricht doch Bände. So muss sich Hans Christian Anderson durch das Leben schlagen. Morde aufklären, die der dänischen Polizei am Arsch vorbeigehen, weil die sich, irgendwo, einen anderen Universum es sich gemütlich gemacht haben, einem pervertierten dänischen Prinzen den wertlosen Kadaver und das noch sinnlosere Leben retten, nebenbei aber hungern und darben, weil die damalige Zeit der Meinung war, das Blaublüter etwas Besonderes sind. Walther Kurt von Seydlitz-Kurzbach, ein Wehrmachtsgeneral im II. Weltkrieg, hatte hier einen anderen Blickwinkel. Die Gebrüder Grimm werden das zwar auch nicht leichter gehabt haben, aber, wahrscheinlich etwas komfortabler. Aber man kann glasklar sehen, Dänemark hat nicht nur einen Märchenkönig aus der Vergangenheit, sondern auch talentierte Schriftsteller in der Gegenwart.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28231-1 445 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A)

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