BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

SOPHIE HÉNAFF –

Kommando Abstellgleis

Hier ist es passiert. Man hat den neuesten Roman schon mal gelesen und nun kommt man auf die Spuren, wie alles begann. Die Chronologie ist jetzt etwas aus dem Gleichgewicht. Das sollte aber einem Lesehunger und -vergnügen keinen Abbruch tun. Anne Capestan hat jemanden über seinen eigenen Haufen geschossen. Die Gründe dafür werden nicht wirklich näher beleuchtet. Das „Opfer“ war ein Krimineller der Oberklasse und das wäre doch schon Grund genug, hier nicht weiter nachzugraben. Pustekuchen. Anne wird suspendiert. Den Herren der Polizeioberkommandos in Paris stößt, seit einiger Zeit, noch so einiges anderes auf. Eine Mission „Besenrein“ muss jetzt greifen. Sofie Hénaff entwickelt einen so beissenden Spott, da verkrauchen sich alle Krokodile in ihren Gewässern und schmollen. Besser für sie, als wenn sie als Handtaschen enden würden oder, noch viel schlimmer, als eine Werbemarke. Die exekutive Bürgerschutzspitze des französischen Staates hat jetzt einen heiligen Plan. Alles was nicht zur Politik der Nation Tricolore zum Schutze ihrer Bürger passt, oder besser, was so einigen Leuten dabei aufstösst, die sich über alles hinwegsetzen wollen, was Menschenrechte betrifft, muss jetzt haushaltsfreundlich entsorgt werden. Dazu gehören homosexuell orientierte Menschen, Trinker, Spielsüchtige, Polizisten mit persönlichen Problemen, die man damit einfach allein lässt und man glaubt es kaum, bei der „zweitfreiesten“ Nation der Welt, auch Menschen mit einer anderen Hautfarbe. Okay, wenn schon die „freieste“ Nation dieser Welt Animositäten mit Menschen anderer Couleur hat, warum sollten sich dann die Franzosen damit zurückhalten. Die haben dann zwar mal die Freiheitsstatue in Manhattan gestiftet und den neuen unabhängigen Neuenglandstaaten zu einem eigenverantwortlichen politischen Handeln gratuliert, nur, das ist doch richtig nach hinten losgegangen. Fragt die Uberlebenden der First Nation und die afrikanischen Nachfahren der „Einwanderer“, die doch lieber zu Hause geblieben wären. Und da gibt es noch so einige Aspekte mehr. Sofie Hénaff schreibt einiges. Ein Gutes hat die Sache, man kann diesen Polizisten nicht einfach so kündigen. Die Mission „Besenrein“ wird jetzt umgewandelt, die Mission „Abstellgleis“ aus der Taufe gehoben und Anne Capestan soll diese Truppe formieren. Sie darf aber diese Truppe nicht in offizielle Ermittlungen einbringen. Hauptaufgabe ist die Bearbeitung von sogenannten „Cold cases“. Das hier Brisanz drinstecken könnte, das wissen nur wenige. Dazu gehört jetzt Aktenstudium und natürlich Leute, die das machen sollten. Dafür bekommt Anne eine kleine Wohnung, die sie als ein Kommissariat umwandeln soll und eine Liste von Menschen, die eigentlich noch in staatlichen Diensten stehen, aber es sich mit der französischen Obrigkeit richtig versaut haben. Bei Mission Blindgänger sind ja so einige Kurzbiografien noch hinten an gestellt, wenn auch noch nicht alle. Kommt ja noch eine Fortsetzung von der Mission Abstellgleis, bevor die Mission Blindgänger greift. Das war Teil III. Die ersten Seiten haben wir jetzt und es ist ja noch Teil II in der Lauflinie. Soviel zum Thema Chronologie. Aber wir versuchen, dass jetzt hinzubekommen. Anne Capestan, nach ihrem gelungenen Schuss auf einen der größeren Arschgeigen dieses Lebens, hat jetzt eine komplett versaute Karriere. In der kleinen Wohnung versammeln sich jetzt die Loser, die laut des Planes der obersten Polizeibehörde, öffentlich als ganz sauber dazustehen, eigentlich nicht mehr existieren sollen. Auf Rente geschickt, im Krankenbuch versackt, irgendwie aus der Öffentlichkeit gelöscht. Da hat der französische Staat doch irgendwie die Rechnung ohne die Wirtin gemacht. Sophie Hénaff gräbt mal richtig nach und ihre Gestalten, die jetzt in einer Pariser Vorstadt, ein neues Kommissariat aus dem Boden stampfen werden, nimmt doch ganz andere Gestalt an. Die Loser werden die Sieger sein. Für den Leser. Der französische Staat, und mit ihm die gesamte EU werden hier richtig trauern dürfen. Demokratie ist doch nur ein hohles Wort, wenn irgendwelche Möchtegernherrscher uns was vorschreiben wollen. Sophie Hénaffs Helden werden uns sagen, wir sind doch schon ganz unten, aber gut, wir schaffen das. Egal ob wir schwarze Schafe oder Unglücksbringer, sexuell nicht akzeptiert, Spieler oder Trinker sind, oder extremfrustiert und eine Promenadenmischung von einem Hund am Hals haben, der kostbare Halsbänder nicht akzeptieren will, wir sind wir. Okay, lassen wir mal so.
(Penguin)

ISBN 978-3-328-10267-0 345 Seiten 10,00€ (D) 10,30€ (A)

SOFIE HÉNAFF – Mission Blindgänger – Archiv Juni 2020