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VEIT ETZOLD –
Blutgott
Veit Etzold scheint ein Fan von Erich Kästner zu sein. Dessen Spruch, alles was gigantische Formen annimmt, kann begeistern, auch die Dummheit, er ein bischen verifiziert. Gerade die Dummheit scheint zu begeistern. Das spiegelt sich schon auf den ersten Seiten seines Buches wider, als eine Lehrerin ihre Schüler mal befragt. Unterstützt wird diese Aussage auch durch einen Personalchef eines Berliner Traditionsunternehmens, der bei der Auswahl von Azubi-Bewerbern beklagt, das die jungen Leute, teilweise, weder Lesen, Schreiben, noch Rechnen können. Macht sich Herr Etzold Luft, das unser Land sich in einem freien Fall befindet. Und keinen das zu interessieren scheint? Das kann man durchaus so sehen. Genug farbenfrohe und lebendige Beispiele unserer deutschen Demokratie hat er ja wieder mit eingearbeitet, die uns zwar im Alltag immer begegnen, die wir aber, vor allem auch, weil politisch so gewollt, gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen wollen oder können. So führt er uns vor Augen, was das deutsche Strafgesetz für Lücken aufweist, und zieht auch gleich die Folgen nach, die daraus entstehen können. Seinen Humor hat er trotzdem noch nicht verloren, oder gerade deswegen nicht. Auch wenn er seine Seiten mit einem ziemlich makabren Sarkasmus würzt, was jedoch angesichts der geschilderten Geschehnisse, aber auch den realen Gegebenheiten zu schulden ist. Beispielsweise die Wahl eines suizidalen Menschen für den Ort, wo er sich auf einer Bahnstrecke auf die Schienen legen möchte. Hier wird Herr Etzolds geschriebene Erkenntnis beruhigend auf den Leser einwirken und wir werden doch gerne mal auf einem Bahnhof verweilen. Und auch unsere Kleidung werden wir, ab sofort und ganz bestimmt, sorgsamer behandeln. Sein finales Thema ist jedoch der § 19 des Strafgesetzbuches. Kinder unter 14 Jahren sind strafunmündig! Wer kein Strafgesetzbuch zur Hand hat, der kann das, in der hier vorliegenden Ausgabe von Veit Etzold, auf Seite 107 nachlesen. Der Blutgott macht sich das zu Nutze. Unsere heutige junge Generation scheint ja irgendwie eigene Ansichten entwickelt zu haben, die sich mit Werten aus der Vergangenheit, also unserer, nicht mehr so richtig decken. Gerade Menschen mit viel Geld , mangels Interessen und Intelligenz, mit viel Langerweile und von dem recht abstrusen Gedanken beherrscht, außerhalb der gesellschaftlichen Normen zu stehen, kommen schon auf ziemlich krude Ideen. Das kann man als normaler Mensch nicht mehr nachvollziehen. Snuffvideos, sinnlose Brutalitäten... die ganze Palette. Wir wissen das zwar, am Rande, wollen das aber gerne ausblenden. Herr Etzold sieht das anders und spitzt das Ganze mal etwas an, was dann passieren könnte. Der Blutgott sieht sich auch als ein solcher. An dementsprechenden Beweisen lässt er es nicht mangeln. Und er geht noch weiter. Über das Internet sucht er gleichgesinnte Psychopathen, aber auch Menschen, die nicht wirklich wissen, wo sie stehen. Denen er seinen Willen aufzwingen kann, nachdem er sie erpresst hat. Herr Etzold schildert das sehr wortgewandt. So einige seiner Figuren müssen sich winden, werden vom Opfer selbst zum Täter, die beneidet man nicht. Aber auch mit seinen Handlungsaktiven möchte man nicht tauschen, da bleibt man lieber bei sich und seiner Katze. Clara Vidal und ihre Crew müssen sich strecken. Aber Herr Etzold steht diesen Leuten recht wohlwollend gegenüber und so dürfen sie doch etwas unproblematischer an die Dinge herangehen. Der Autor ist der Meinung, ungewöhnliche Tatsachen bedürfen auch ungewöhnlicher Herangehensweisen. Bei zwei übel brutalen Morden und einem Amoklauf mit mehreren Opfern, ausgeführt von Kindern unter vierzehn Jahren!, siehe §19 StGB, sollte man seine Weltanschauung doch mal überdenken. Und auch, weil mehrere Videos im Web kreisen, in denen Morde, kaltblütig und menschenverachtend, gezeigt werden. Der Autor ist recht schmerzbefreit, diese zu beschreiben. Hier besteht tatsächlicher Handlungsbedarf, aber noch ist es in diesem Land nicht so weit, das man Methoden wirklich ändern möchte. So möchte Veit den Vorreiter machen und, für unsere Zukunft, mal anmahnen, dass Verbrechen und Verbrecher sich nicht an unsere Normen und Grenzen halten werden. Da unsere Gesellschaft anscheinend hilflos oder ignorant oder beides ist, packt er ein Paket auf den Tisch, dass beim eigentlich gedachten Empfänger bestimmt keine Freude auslösen wird, wir sollten sein Buch ins Justizministerium schicken. Für uns ist sein Werk wieder aufschlussreich, informativ und unterhaltend, auch wenn man für bestimmte Passagen einen starken Magen und ein dickes Fell benötigt. Ein Buch mit Veit Etzold Garantie. Man fängt mit dem Lesen an und wird es, bis zum Ende, kaum mehr aus der Hand legen. Nur sich über störende Unterbrechungen, wie beispielsweise Arbeitsbeginn oder nötige Haushaltsarbeiten, die man dann doch gerne vernachlässigt, beschweren. (Knaur)
ISBN 978-3-426-52408-4 407Seiten (+LesPr. „F.C.“) 10,99€ (D) 11,30€ (A)
VEIT ETZOLD – Der Schmerzmacher – Archiv Okt. 2018 TIPP VEIT ETZOLD – Der Staatsfeind – Archiv April 2019
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