BUCHCOVERREZENSION
Foehra ToteHand

ANDREAS FÖHR –

Tote Hand

„Wallner konnte einen Heiterkeitsausbruch nur unter Aufbietung höchster Konzentration unterbinden.“ Ist doch schön, wenn der Schriftsteller seiner Figur bescheinigt, über ein gewisses Maß an Körperbeherrschung zu verfügen. Nur, noch steht Clemens am Anfang. Wie oft er (wir auch) jedoch schon vor diesem Augenblick in Andreas Föhrs neues Buch gebissen hat, kann man nur grob schätzen. Wie oft er es (wir auch) danach tun wird? Versucht es gar nicht erst zu zählen. Da kommt man nur durcheinander. Wenn man dieser Lektüre öffentlich frönen möchte, kann man sicher sein, dass wir beobachtet werden, wie eine außerirdische Lebensform. Aber man hat die Gewissheit, bei der Wahl seines Buches zwei Dinge gleichzeitig getan zu haben. Erstens, für uns selbst haben wir alles richtig gemacht und zweitens, in der Umwelt, die uns argwöhnisch beäugen wird, sorgt man für Unterhaltung. Auch wenn diese nicht so wirklich angenommen werden wird. Aber das sollte uns doch völlig egal sein. Andreas Föhr hat die Drachen seiner Fantasie wieder auf die üppigsten Gold- und Edelsteinminen losgelassen, die jene jetzt auch nach Herzenslust wieder richtig plündern werden. Was Wallner, Kommissar der Kripo Miesbach, jetzt noch, gerade so in den Griff bekommt, wird dem Leser dann wohl etwas entgleiten. Die freundlichen Menschen, die auf einen zukommen, um uns ein Telefon in die Hand drücken zu wollen, damit man daheim mal anrufen könnte, sind noch wohlmeinende Zeitgenossen, die zwar noch nie einen wirklichen E.T. live gesehen haben, aber, eben, einen wahren Leser von Andreas Föhr auch noch nicht. Andere würden gerne die Hilfe von Uniformierten holen, die gleich die Herren in den Laborkitteln mitbringen werden, die ihrerseits Modeartikel im Schlepptau haben, deren Ärmel man auf dem Rücken verknoten kann. Das sind diejenigen, denen es an Verständnis fehlt. Manchen Leuten sollte man besser aus dem Weg gehen. Schnaubt in Euch hinein, geht schon. Die „Mangfallmühlen“-Kneipenbande hat einen herben Verlust zu verzeichnen. Johann Lintingers rechte Hand wurde zum Opfer seiner eigenen Schrottschere und der alte Mann hat keine Ambitionen darauf, sich das Teil wieder annähen zu lassen. Nach seinen Ernährungsgewohnheiten, die Herr Föhr ungeschminkt an die Öffentlichkeit bringt, sollte hier ein höheres Wunder mit Abwesenheit glänzen und einem gewissen Alltag Platz machen. Die Berufsgenossenschaften werden ihm sicher dankbar für solche Hinweise sein. Für den Polizisten Leo Kreuthner ist dies jedoch ein unersetzlicher Bestandteil der Kartenspieltraditionen, in einer Umgebung, wo sich kriminelle Aktivitäten durchaus einer gewissen Beliebtheit erfreuen, obwohl er, eigentlich, ein Ordnungshüter sein sollte. Dass er das diesmal sogar versucht, kann aber nur nach hinten losgehen. Aber er wär ja auch nicht Leonhardt, wenn er sich normal verhalten würde. Kurzer Hand requiriert er Lintingers Hand im Krankenhaus. Will sie dem ehemaligen Besitzer wieder zuspielen, immerhin hatte der ja mal ein Schafskopf-Traumblatt in der Hand gehabt, und ihr eine eigene angemessene Ruhestätte geben, damit man ihr huldigen kann. Der Gliedmaßen-Witwer ist damit zwar nicht wirklich einverstanden, aber seinen bisher nicht eingepegelten Frühstückskonsumstand geprägt, doch noch etwas träge in seiner individuellen Wahrnehmung. Tipp am Rande, kauft zwei Bücher. Eins zum Reinbeißen, eins zum Lesen. Die Figuren von Andreas Föhr wandeln immer auf recht blumig-bunten Pfaden und so manche Tätigkeit, beispielsweise das Buddeln von Löchern in die Erde, um einer abgetrennten Hand, die einmal ein Solo-Sie gehalten hat, das letzte Geleit zu geben, könnte man hier eher als normal angesehen verbuchen. (Für Schafskopf-Nichtkenner! Im Skat ist das ein Grand-Overt. Für Leute, die keine Karten spielen, beim Schach wäre es, vermutlich, der Schäferzug, aber den hält man nicht auf einer Hand) Beherzt am Werke und, in dem Falle nicht der Zukunft zugewandt, sondern den Erfrischungen, die eine, nicht wirklich vorhandene, Getränkekarte der „Mangfallmühle“ anbietet, graben die Kartenfanatiker jetzt eine Leiche aus, wo sie eigentlich die Hand versenken wollten. Leo hat wieder einen Mordfall entdeckt, ist ja schon Tradition. Wallner weiß noch nichts davon, hat aber jetzt auch ganz andere Probleme. Sein Großvater Manfred macht einen auf spirituellen Ratgeber. Der Knabe ist fast an die neunzig ran, leidet an Gicht und frönt einem Appetit nach fettigem Schweinefleisch und Weißbier. Jeder Arzt wird hier Alarm schlagen wollen. Wallner auch. Aber, Manni ist nicht nur fast so alt wie Methusalem, sondern auch so eigen. Starrköpfig oder stur kann man nicht wirklich sagen, er hat nur keinen Bock, sich von seinem Enkel etwas vorschreiben zu lassen. Weder, was seine Nahrungsaufnahme angeht, noch seinem aktuellen Look, der ihn als den neuen Darsteller für die Rolle eines Russel Means im Rentenalter, in Hollywood weiterempfehlen würde. Wallners Schwester Olivia, zwölf Jahre alt, will jetzt in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und macht das Medium für den „alten Mann“. Und spricht jetzt, nicht ganz unvorbereitet, aber doch recht unspektakulär, mehrere nordamerikanische Dialekte von damals einheimischen Ureinwohnern? Die dort lebten, bevor unser „großer Freund“ seinen Genozid von der amerikanischen Ostküste über die Plains bis hin zur Pazifikküste ausgedehnt hat. Ob es diese Dialekte wirklich gab, sei dahin gestellt. (Spricht „unsere Freunde“ aber nicht frei, von der Schuld davon, dass ihr System sich nur darauf gründete, die Einheimischen ermordet und sie Sklaven aus Afrika importiert haben, deren Arbeitskraft sie systematisch ausbeuteten. Das man nicht darüber Reden und die Geschichte, gerne, nicht zur Kenntnis nehmen möchte, nennt sich heute „Demokratie“. Fragt Frau Merkel. Wenn sie von etwas Ahnung hat, dann von Nichtwissen oder Wissen, und wie man das punktgenau einsetzt. Wir hätten viel zu große Skrupel. Deswegen lesen wir ja auch Bücher und kümmern uns um unsere Katze und unseren Nachwuchs und nicht um eine Frau, die nie wirkliche Höhepunkte im Leben hatte. Nur lügen kann und muss. Muss ein trauriges Leben sein.) Habt Ihr jetzt noch Fragen zur ersten Zeile? Wallner ist eigentlich eine der ernsten Figuren in Andreas Föhrs Reigen, aber wenn der, trotz aller Disziplinierung schon aus dem Prusten nicht mehr herauskommt, dann kann man sich ja vorstellen, wie es allen anderen gehen wird. Trotz eines Mordfalles. Und, die kleinen Feindschaften, die hier sorgsam gepflegt werden, sollten auch mehr der Erheiterung dienen. Dafür ist Leo ein Garant. Andreas Föhr hat wieder einen guten Ausfallschritt hinbekommen, weil trotz aller Lachanfälle, die er verursacht, er aber immer auch noch ernste Themen, aus der Hinterhand sozusagen, nach vorne spielen wird, über die man nachdenken sollte. Dieser Schriftsteller ist immer nah am Volk und am Leser, was man von so manchen anderen Gestalten in unserem Leben eher weniger behaupten könnte.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-65447-7 380 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A)

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