BUCHCOVERREZENSION
Winslowd JahreDesJaegers

DON WINSLOW –

Jahre des Jägers

Manchmal hat er den Charme eines Panzers, manchmal ist er ein extrem schwarz humoriger Schriftsteller, manchmal ist er einfach nur ein Mensch, der die Schnauze von dieser Welt komplett voll hat, was man ihm auch nicht verdenken kann. Manchmal ist er ein Mensch, der sich dem Leser mitteilen möchte. Was ihn drückt. Don Winslow ist einer der schillerndsten Schreiber in der Literatur und seine Themen sind immer brandaktuell. Auch wenn wir hier noch weit weg sind, von seinen Tatorten. Wie gesagt! Noch! Herr Etzold zeigt, mit seinen Romanen ja auch schon an, das diese Entfernung ganz rasch verkürzt werden kann und wir genauso zu Opfern verarbeitet werden, wie Don es in seinen Büchern, die mehr Realitätsberichte als Romane sind, recht umfangreich, und trotzdem auf den Punkt gebracht, dokumentiert. Seine Bücher, über die Kriminalität, in Bezug auf Drogenhandel und die Gelder, die daraus resultieren, zentralisieren sich in den Kreisen, mit denen wir, die wir beim Supermarkt um die Ecke einkaufen, und entgeltabhängig arbeiten gehen, um unsere Miete bezahlen zu können, unserer Katze und unseren Kindern ein angenehmes Leben zu ermöglichen, nichts zu tun haben, aber wir genau deswegen zu potentiellen Opfer verarbeitet werden, weil wir uns nicht wehren wollen, oder können. Don Winslow hat wieder ein episches Werk hingelegt und hat auch noch jemanden in der Hinterhand, der hier mal richtig den Müll rauskehren will, den unsere Politiker gerne als Kollateralschäden hinnehmen wollen, solange sie nicht selbst betroffen sind. Und noch viel schlimmer! Er zeigt uns jedes Mal, dass wir genauso wegschauen. Er mag ja manchmal etwas rotzig rüberkommen, aber er ist ein engagierter Mensch, der in seinen Büchern steht. Nicht, weil er sich dahinter verstecken möchte, sondern sich vor seine Figuren stellt. Durch die Bank weg. Seine Bücher sind keine historischen Romane, im Sinne, die Wikinger haben gerade mal wieder Lundene überfallen, mit Drachenbooten und Hörnerhelmen. Als Alfred noch den Traum Englands hatte und das als ein historisches Spektakulum durchgehen könnte. Er schreibt über den Drogenkrieg, der sich seit Jahrzehnten vor unseren Augen abspielt, den wir aber in eine andere Dimension verfrachten wollen, weil wir gerne die Hausschuhe anhaben und, gerade während oder nach einem Regen, uns diese nicht nassmachen wollen. Wir werden also den Balkon oder den Garten meiden. Und wenn die Katze sich feuchte Pfoten holen will, stehen wir „wissend“ daneben. Nur, um anschließend festzustellen, dass sie uns genau diese auf die Brust setzen wird. Wegschauen ist also kein Weg und deswegen beschreibt Don Winslow, detailgetreu wie auch –genau, einen brutalen Krieg, der keine Alternativen bietet, es sei denn, man sieht die Wahl zwischen Scylla und Charybdis als solche. Wie viele unschuldige Menschen hier umkamen, und auch heute noch sterben müssen, weil sie zwischen die Fronten geraten sind, kann man nur grob schätzen. Dagegen dürfte sich die Anzahl der Toten, die sich aktiv am Drogengemetzel schuldig gemacht haben wohl eher in einem überschaubaren Zahlenlevel halten. Vor allem auch deswegen, wie Herr Winslow das schonungslos darlegt, gerade die höheren Chargen Beziehungen bis in die höchsten Kreisen haben, mit denen verquickt sind und, je neuer die Zeit, selbst aus dieser Hierarchieebene kommen. Das Sinaloa-Kartell kontrollierte, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, doch die mexikanische Regierung. Das man aber auch gerne im Obstbaum des Nachbarn plündern möchte, liegt nahe, nur, andere wollen das auch. Die Folge ist eine nicht endende Spirale der Gewalt, die einfach nur menschenverachtend ist. Dagegen sehen so manche historischen Massenmörder einfach nur blass aus. Die hatten eine Grenze und eine, wenn auch völlig degenerierte, Ideologie. Im amerikanischen Drogenkrieg wurde das einfach weggekippt. Hier zählt nur noch eins. Geld. Alles andere ist scheißegal. Arturo Keller, mit Don Winslow im Schlepptau, will den Spieß jetzt umkehren. Er will nicht mehr die kleinen Drogendealer jagen. Nicht die mittleren „Angestellten“ oder Unterbosse verhaften, die genauso austauschbar sind, wie Damesteine oder Kartensets. Er will an die Verantwortlichen heran. Als Direktor der DEA hat er auch Mittel und Wege, hier auf Fortschritte zu hoffen. Nur kann das recht zermürbend werden, und das Familienleben verabschiedet sich in Richtung, vielleicht später mal. Wenn dann plötzlich der Dienstherr wechselt, können alle vorherigen Bemühungen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Die politische Sachlage ist wichtiger als jeder einzelne Mensch, solange der nicht über den Rand gewisser Kreise lugt. Diejenigen, die jedoch dort hineinzirkeln, entpuppen sich als Leute, die Macht über andere haben und das auch schonungslos ausnutzen. Wenn der Bauer von nebenan mal erschossen wird, interessiert das keinen eine Bohne. Die Mutter von der anderen Straßenseite liegt neben ihren erschlagenen Kindern in einem Meer aus Blut, Desinteresse von Merkel, Trump und Co, davon kann man ausgehen. Und auch die großen Drogenbosse, ob oder auch nicht, selbst im Regierungsgeschäft, werden sich ihre nächste Party nicht davon vermiesen lassen. Miguel Servantes Don Quichotte würde durchdrehen. Don Winslows Art Keller kann sich das nicht leisten. Dafür steht zu viel auf dem Spiel, für alle Beteiligten seiner Operation. Eben auch deswegen, weil sich die Gegenspieler in der eigenen Region der Re-Gierigen befinden, die einem auch noch Anweisungen erteilen dürfen. Herr Winslow ist eine Macht der man sich nicht entziehen kann.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28219-9 987 Seiten 26,00€ (D) 26,80€ (A)

DON WINSLOW - Das Kartell – Archiv August 2015
VEIT ETZOLD – Staatsfeind – Archiv April 2019