BUCHCOVERREZENSION
Harborts WennKinderToeten

STEPHAN HARBORT –

Wenn Kinder töten

Wenn Kinder töten, … ist das eine Katastrophe. Die Welt ist doch schon scheiße genug. Stephan Harbort gibt hier einige ausgewählte Fälle zum Besten, wo Minderjährige zu Tätern mit Tötungsdelikten wurden. Dabei geht es ihm nicht um einen Unterhaltungswert, dass wäre auch mehr, als nur makaber, sondern um einige Hintergründe. Und die können sehr vielfältig sein. Ein gemeinsamer Nenner wird sich trotzdem immer wieder in den Vordergrund schieben. Die mangelnde Kompetenz einer Gesellschaft zur Gemeinsamkeit, die „Werte“, wie Geld und Macht als ein erstrebenswertes Ziel definiert und die Verlierer dieser Strategie konsequent ausgrenzen wird. Die Fälle, die Stephan auflistet, haben grundsätzlich mit den Menschen zu tun, die von dieser Gesellschaft in den Mülleimer der Geschichte geworfen wurden. Leider kommt in diesem Buch so einiges zu kurz. Warum, sollte man den Autor doch mal eingehend befragen! Diese Zeilen sind interessant, ohne Frage, nur fehlt doch sehr viel zu der Erkenntnis, die auf dem Cover steht: „Deutschlands bekanntester Serienmordexperte klärt auf“. Weil, genau das macht er nicht. Im Gegenteil, er wirft noch mehr Fragen auf. Sicher zieht er den Zusammenhang zwischen einer menschenverachtenden Gesellschaft und ihren Verlierern, nur bleibt er dabei recht oberflächlich. Wirklich in die Substanz geht er nicht. Seine geschilderten Fälle sind hart und auch nicht wirklich nachzuvollziehen, wenn man Werte hat, auf die man in einem Leben bauen möchte. Nur wer soll diese Werte vermitteln? Frau Merkel? Winston Churchill? George W. Bush. Beide Versionen, egal ob 1.0 oder 1.1, waren doch menschenrechtlich richtig abartig drauf. Und die waren gewählte US-Präsidenten. Bei solchen Vorbildpolitikern, (sie sollen ja die Guten gewesen sein?), ist es doch eher ein Wunder, das die Menschheit überhaupt noch lebt. Stephan stellt zwar viele Fragen, aber Antworten sind nicht so schnell zu finden. Vor allem auch deswegen, weil er sich immer hinter seinen eigenen Fragen verschanzt und nicht wirklich weiter recherchiert. Die Faktenlage ist zwar klar und das schreibt er auch, aber hier wird er eher zu einem Berichterstatter. Ein Aufklärer ist er nicht wirklich. Es bleibt vieles im Dunklen. Klar ist, bei ausgewählten Fällen, der Vater war ein Alkoholiker und Muttern zu schwach. Verlierer, wie sie auf allen Seiten einer Boulevardpresse stehen werden, die sich solche Schlagzeilen als Aufhänger für ihren, ach so heroischen, und trotzdem verlogenen Journalismus zunutze machen wollen. Und ein Tötungs-Delikt, das dann zu Buche schlägt, steht plötzlich auf der Bühne. Jetzt gibt es zwar Aktionismus, aber das Warum, darum kümmern sich nur wenige. Die Ermittler werden gerne und schnell, das als Aktenlage abheften. Sie haben ja dutzende Fälle davon auf dem Schreibtisch. Politisch ungeschult und auch, von oben genötigt, werden sie diesen Dingen nicht mehr Aufmerksamkeit widmen, als nötig. Und, vor allem, ist das sehr einfach. Das dieser Fakt mehr Fragen heraufbeschwören werden wird, als man beantworten kann, übergeht unser „Serienmordexperte“ geflissentlich. Couragiert, ohne Ende, geht Stephan dem zwar nach. Nur, Fragen hat er viele, aber die haben wir doch alle. Beantworten wird er nur wenige. Weil niemand darauf eine Antwort hat? Wir sind, nach seinem Buch, wieder auf uns allein gestellt. In seinem Anhang versucht er zwar Ansätze darzulegen, tabellarisch, aber ob das so der Bringer ist, muss man, selbst bei wohlwollenem Gewissen, verneinen. Das war es nicht. Eine klare Darstellung der Verbrechen hat er drauf, aber an der wirklichen Aufklärung über die allgemeinen Hintergründe hapert es. Vor allem, weil er nur einige, wenige, Fälle dokumentiert. Die sind zwar krass. Aber er streift nur an der Oberfläche entlang. Wie die Scheinwerfer eines Autos, die nur Teile einer dunklen Straße erhellen, während die ausgegrenzten Zonen nicht mal die Leitplanken enthüllen werden, die daneben stehen, wo man dann in den Abgrund fährt. Er beleuchtet zwar Einzelfälle, die für sich schon Geschichte schreiben, glasklar, aber im Gesamtklassement bleibt er dem eigentlichen Versprechen, „Aufzuklären!“, doch weit hinter dem Klassenziel zurück. Ist nicht seine Schuld. Er lebt ja nicht in dieser Welt, die er beschreiben möchte. Eigentlich ist er ein Beobachter, der zwar haarscharf erkennt, wo es drückt. Nur, kann er das auch nachleben? Ratschläge geben? Er bezieht eine Position, aber nicht wirklich so konsequent, wie man sich das wünschen würde, eher recht schwammig, gerade für die Betroffenen. Einen wirklichen Standpunkt, wie Jean Ziegler, ehemaliger UN-Beauftragter für das Menschenrecht auf Ernährung, bezogen hat, „wenn heute ein Kind verhungert, wird es ermordet“, macht er leider nicht. Sein Buch sollte man sich trotzdem zur Brust nehmen.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-30186-9 241 Seiten (+Anhang) 9,99€ (D) 10,30€ (A)