BUCHCOVERREZENSION
Borrmann.m Truemmerkind

MECHTILD BORRMANN –

Trümmerkind

Mechthild Borrmann ist eine wahre Künstlerin des geschriebenen Wortes und auf ihren Seiten wird sie das auch ausdrucksstark untermalen. Dazu reist sie zurück, ins Nachkriegshamburg, in die Uckermark, nach Lübeck wo die Menschen sich mit den Hinterlassenschaften des Naziregimes und den Neuauflagen der Siegermächte herumschlagen müssen. Unter anderem Hanno Dietz, vierzehn Jahre alt, der überall nach etwas Essbarem und Heizmaterial sucht, oder Dingen auf der Spur ist, die sich in solches verwandeln lassen könnten. Die Suche nach Dingen des täglichen Bedarfs, was man sich heute kaum noch vorstellen kann, beherrscht sein kleines Leben und dabei ist er noch ein Kind. Mechthild Borrmann malt ein düsteres Bild. Der Krieg hatte unglaubliche Opfer gefordert, aber ist das Leben nach dessen Beendigung jetzt besser? Das kann man mit einem klaren Nein beantworten. Und die Frage, die sich stellt, wer oder was hatte das erst überhaupt möglich gemacht. Eine Frage, die heute niemand mehr beantworten will und den Frager in eine Ecke schiebt, in die die meisten noch nie gesehen haben. Das Naziregime war scheiße, da brauchen wir uns keinen Zacken aus der Krone zu brechen, aber? Warum kam es an die Macht. Wird heute jeder Politiker, Politologe oder auch jeder andere „Experte“, die wir mittlerweile wie Sand am Meer haben, mit irgendwelchen Schwafeleien kommentieren wollen, wenn sie sich überhaupt dazu äußern. Aber warum wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet, während Adolf Hitler mit Festungshaft davonkam? Hier kommen zwei Feststellungen ins Spiel. Wenn zwei das „gleiche“ machen, ist es noch lange nicht dasselbe. Und wenn die Mächtigen dieser Welt etwas mit uns spielen wollen, werden sie nicht auf die Helden eines Marvel-Universums setzen. Odin und Thor, Powergirl, Super- und auch Batman, auf der Seite des geknechteten Volkes, sind nur TV-Helden, die ablenken sollen. Mechthild Borrmann will dieses Bild nicht vertiefen. Ihre Helden leben in einer Nachkriegswelt, die wir heute nicht mehr kennen, aber für unsere Eltern und Großeltern doch noch stark relevant ist, auch wenn sich der Informationsfluss, den Siegermächten und der heutigen „Demokratie“ geschuldet, heute in ganz engen Grenzen hält. Ihre Geschichte basiert auf dem historischen Hintergrund des Kriegsendes und der „Trümmermorde“, die im Winter 1946/1947 begangen und bis heute auch nicht wirklich aufgeklärt wurden. Mechthild Borrmann versucht den Opfern ein Gesicht zu geben, wie es hätte sein können und versucht hier, im nach hinein, doch noch Gerechtigkeit walten zu lassen. Um diese Zeit finden Hanno Dietz und seine Schwester Wiebke einen kleinen Jungen in den Trümmern, nachdem Hanno, bei einem seiner Streifzüge für das blanke Überleben, eine tote Frau fand. Mutter Agnes, deren Gatte noch immer als vermisst gilt, ist sofort der Meinung, der kleine Mann braucht Hilfe und so wird das Trümmerkind zu Joost Dietz und wird in die Familie integriert. Als alles knapp war, Menschen erfroren, verhungerten, an Krankheiten starben, viele Kriegsgewinnler unterwegs waren, die Umstände zu ihrem Vorteil zu nutzen, ist das ein Schritt in eine humanistische Zukunft, der eigentlich normal sein sollte, aber vermutlich, um diese Zeit, nicht selbstverständlich war. Mechthild Borrmann schreibt mit viel Gefühl für Familie, und der kleine Joost hat die Chance erwachsen zu werden. Er bewundert seinen großen Bruder Hanno, der frühzeitig Verantwortung übernehmen muss. Als Familienoberhaupt Gustav Dietz, aus russischer Gefangenschaft entlassen, erscheint und er damit konfrontiert wird, plötzlich ein Kind zu haben, das er nicht gezeugt haben kann, gibt es zwar Probleme, verständlich, aber der kleine Racker wird von allen abgeschirmt. Erst als Gustav, Jahre später, die „Goldenen Zeiten“ haben sich in den drei nichtkommunistischen Besatzungszonen, jetzt BRD, eingenistet, einen Unfall hat, und auch Joost Blut spenden will, wird ruchbar, das Familie Dietz nicht seine biologische Familie sein kann. Eine Suche beginnt, die jedoch nicht wirklich effizient ist. Das Trümmerkind hat reichlich Probleme und ist auch stinkig, muss aber erkennen, das was die Dietzens für ihn getan hatten, das Beste für ihn war. Fällt schwer, klar, ist nachzuvollziehen. Für „Mutter“ Agnes, die recht gelassen darauf reagiert, vermutlich der Punkt, dass Kinder immer nach ihrer Wahrheit suchen werden. Was Frau Borrmann hier darbietet, ist einfach nur Wahnsinn!!! Mit einer Sensibilität geschrieben, da bekommt man Tränen in den Augen. Dann kommt die Wende und die ehemalige kommunistische Besatzungszone wird Bestandteil unseres Staatssystems, wie wir es heute kennen. Die Wende hatte doch so einige kleine Ähnlichkeiten mit der Nachkriegszeit. Viele haben sich daran bereichert. Die „Werwölfe“ waren auch wieder unterwegs, um …Nee Leute, das soll ja die neue RAF gewesen sein. Manche waren humanistisch geblieben. Kleine Schritte für eine neue Zukunft, die nie stattgefunden hat. Für Joost gibt es jetzt eine reale Konfrontation mit seiner Vergangenheit. Er trifft Anna Meerbaum, deren Mutter nicht die ist, für die sich ausgibt. Mechthild Borrmann hat da mal etwas vorbereitet. Ob es wirklich Licht, oder neue Erkenntnisse, in den Ermittlungen der verantwortlichen Behörden für die Hamburger „Trümmermorde“ bringt, kann man bezweifeln. Aber sie hat sich Gedanken gemacht um eine Zeit, die viel Leid für die Menschen brachte, die nicht raffen, weder in Kriegszeiten, oder danach, und damit immer verlieren werden, aber auch Hoffnung für ein humaneres Denken gesät, einen humanistischen Gedanken zu Leben erweckt, für den es sich lohnt zu leben.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-30492-1 472 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A)