BUCHCOVERREZENSION
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HANNAH KENT –

Wo drei Flüsse sich kreuzen

Hannah Kent hatte, beim Verfassen dieser überaus interessanten Zeilen, vermutlich, einen Ausspruch von Herrn Kraus im Hinterkopf, der Teufel sei ein Optimist, wenn er glaube, die Menschen noch schlechter machen zu können, als sie schon sind. Die Erfahrungen in diesem Leben sagen, der Teufel muss, entweder ein unverbesserlicher Optimist sein, oder er ist jetzt schon ein Alkoholiker, der sich selbst die Taschen vollhauen möchte, weil er sieht, dass er der Menschheit nichts mehr beibringen kann, nicht mal ansatzweise gekonnt hätte, sondern, er auch noch erkennen muss, dass er sogar noch von ihr lernen könnte. An dem christlichen Priester, der jetzt, in Hannahs Buch sein Unwesen treiben möchte, dürfte sich Satan einer Messlatte übergeprügelt zu sehen bekommen, der er, nicht mal ansatzweise, gewachsen ist. So dämlich kann nicht einmal Lucifer sein, dass er hier Konkurrenz anmelden möchte, das machen die Menschen schon allein. So bleibt dem gefallenen Engel der Morgenröte nur der Suff. Hannah Kent schreibt das Jahr 1825 im Südwesten Irlands, wo Anna „Nance“ Roche, als Kräuter- und weise Frau, ihr Leben den Talbewohnern widmet, mit dem Segen eines christlichen Priesters, Father O`Reilly, der erkannt hat, das es mehr gibt, als nur den Glauben. Der den Eid des Hippokrates anerkennt und, dementsprechend, auch handelt. Nur ist sein Nachfolger aus einem anderen Holz geschnitzt. Der dürfte, mit seinen Überzeugungen, auch dem „Hellleuchtenden“ das Fürchten lehren, in den Wahnsinn treiben. Und in die Abhängigkeit von Stimulanzien aller Couleur. Dieser Priester schlägt Satan auf allen Längen, was unseren gefallenen Engel in das umtriebige Wirken unserer Pharmaindustrie einschmeicheln lässt. Wo Satan versagt, weil er jetzt der Menschheit Schüler, und nicht mehr der Lehrer ist, eigentlich nie war. Das kann schon so manchen Knacks verursachen. Satan schmollt, weil, das Leid, dass Hannah hier ausbreitet, nicht auf seinem Mist gewachsen ist, und auch heute nicht mal mehr, ansatzweise, ein Thema zu einer Diskussion wäre. Heute hat man eine Industrie daraus gemacht. Damals war es anders. Behinderte Kinder waren nur Ballast und schlechte Omen, Feenkinder, Wechselbälger. Nur, wo soll man eine Messlatte ansetzen? Damals, in Irland, gab es noch keine wirkliche Aufklärung, welche Krankheiten Menschen befallen können, oder, besser gesagt, es wurde verschwiegen, was den menschlichen Körper deformieren könnte. Es gab ja schon im Altertum Wissen um menschliche Leiden, das, im Laufe der Christianisierung so mancher Landstriche, und auch schon vorher, verloren ging und dieser Verlust geht einher mit Aberglauben. Hippokrates sagte mal, Wissenschaft führt zu Wissen, die Einbildung zum Nichtwissen. Der Mann war weise. Schade nur, dass so wenige auf ihn gehört haben. Für Nόra kommt diese Einsicht zu spät. Ihre Tochter stirbt und deren Gatte lädt ihren Enkel bei ihr ab. Micheál war als gesundes Kind zur Welt gekommen, jetzt ist er ein Krüppel, mit vier Jahren auf dem Buckel. Aber noch lebt ihr Mann Martin, mit dem sie diese Bürde teilen kann, wobei Martin das etwas anders sieht und den kleinen behinderten Bengel ins Herz geschlossen hat. Seinen Enkel. Suchte Hilfe bei einem Arzt, obwohl man sich dessen Rechnung nicht wirklich leisten konnte. Und dieser Möchte-Gern-Mediziner, der vermutlich den Namen Hippokrates noch nie vernommen hat oder mit Pferden in Verbindung bringen würde, winkt nur einfach ab. Als Martin plötzlich stirbt, ist Nόra völlig überfordert. Sie sucht den Priester auf, nur der ist auf der gleichen Schiene drauf, wie der Kasper, der Geld über seinen Eid stellt. Und keine Hilfe sein wird, es auch nicht sein will. Er will gegen Ungläubige wettern und die Menschen gegeneinander aufhetzen. Helfen, oder auch nur Trost zu spenden, das steht nicht in seiner Bibel. Nόra sucht Hilfe und stellt Mary ein, sie zu unterstützen, was das Mädchen auch macht. Ohne Vorurteile Micheáls gegenüber, und, obwohl es eine ziemliche Belastung ist, Mary stellt sich ihrer Aufgabe. Nur reagiert Nόra, völlig aus der Bahn geworfen, ganz anders. Das behinderte Kind ist jetzt, für sie, eines der berüchtigten Feenkinder, und eine Tragödie nimmt ihren Lauf, wie, wenn sich drei Flüsse treffen, um dann gemeinsam weiterzuziehen und alles mit sich reißen. Vorurteile, Aberglaube, christliche Selbstanmaßung. Drei Flüsse. Neid und Zwietracht dominieren in dem kleinen irischen Flecken. Menschliche Nächstenliebe ist eher rar gesät, mit den drei Flüssen mitgegangen. Weder der Pfaffe, noch der Geldlakai, der sich Arzt nennen will, haben hier einen aktiven Punkt in dieser Tragödie darstellen wollen, nur, sie haben den aktivsten Anteil daran, dass etwas passiert, was man hätte verhindern können und sollen. Hannah Kent hat einen absoluten Volltreffer gelandet und einen Roman geschrieben, den man auch in hunderten Jahren nicht vergessen wird. Das nennt man unsterbliche Literatur.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-19979-4 424 Seiten