BUCHCOVERREZENSION
Winner.j DieZelle

JONAS WINNER –

Die Zelle

Jonas ist immer einen Blick wert. Was er aus seiner Feder zaubert, hat schon etwas für sich. Er ist ein Magier seiner Zunft. Ist jedoch nicht wirklich für schwache Nerven geeignet. Vielleicht solltet Ihr Euch, beim Konsum seiner Lektüren, an Euren Teddybären festhalten. Und beim Einschlafen das Licht anlassen, weil selbst die Dunkelheit Schauer auf der Haut, Traumata und Zwangsneurosen bekommt, wenn Jonas Winner dann mal losgelegt und seine Geschichten erzählt hat. Sammy, elf Jahre jung, hat gerade den Siegeszug nach Berlin nachvollzogen. Nun ja, seine Familie ist jetzt von London in die Hauptstadt der Bundesrepublik gezogen, wobei Vater und Bruder die Vorhut bildeten, und er, sozusagen, mit Muttern und Kindermädchen die Nachhut darstellt. Schön im beschaulichen Grunewald, in einer Villa vom Feinsten, will Sammys Familie residieren. Wohnen wäre ein wohl eher beleidigender Ausdruck. Die Familie, gutsituiert, hat natürlich die gleichen Probleme, wie alle anderen Umzügler. Neue Umgebungen erfordern neue Maßnahmen, wieder ein soziales Umfeld aufzubauen. Was sich, in Ferien, für allein spielend müssende, kleine Jungen allerdings schwierig gestalten dürfte. Die Eltern haben keine Zeit, nehmen sich auch keine, die Karriere ist wichtiger. Warum man sich für seinen Nachwuchs keine Zeit nimmt und lieber ans Geld verdienen denkt, obwohl es psychologisch natürlich sehr bedenklich für das Kind ist, um nicht zu sagen, das der kleine Racker einen Knacks fürs Leben bekommt, dafür hat Jonas Winner auch gleich die Vollausstattung auf Lager. Die Familie ist mit einem Au-Pair-Mädchen bewaffnet. Leider hat Hannah andere weltbewegende Probleme. Einen großen Bruder hat der kleine Scheißer ja auch noch. Nur, dessen Zeit konzentriert sich auf sein eigenes soziales Umfeld. Sich wirklich mit seinem unbequemen Anhängsel, sprich Familienangehörigen, zu beschäftigen, um der Familie die Unterstützung zu sein, den Mini zu nicht allein zu lassen, dafür fehlt angehenden Eroberer von Berlins pubertierender Klein- und Sein-Welt die Zeit und Geduld. Und so ist keiner da, der sich um den kleinen verhinderten Superhelden kümmern könnte, der jetzt einsam seine Kreise, gleich einem Kondor über den Anden, in dem angeschlossenen Gartenareal zieht und sein Schicksal verflucht, der Welt zwar heroisch zu begegnen zu wollen, aber keinen wirklichen Menschen hat, mit dem er seine Abenteuer teilen kann. Jonas Winner spannt die Bassseiten auf und tief dunkel vibrierend braut sich im kleinen Sammy etwas zusammen, das man nur als eine Psychose bezeichnen kann, die eigentlich schon vorprogrammiert ist. Finster werden die Wege des Schicksals und Sammy kann nicht mal wirklich etwas dafür. Jonas Winner lässt den kleinen Mann durch eine Hölle laufen, ohne Rücksicht auf Verluste. Klingeln muss Sammy nicht mehr, Satans Restaurant wartet schon auf ihn. Und diese Reservierung ist exklusiv. Klammert Euch an den Teddy. Dann habt Ihr mehr Trost, als Sammy je bekommen könnte. Nicht jeder Mensch hat einen Luftschutzbunker, in dem er seinen eigenen Alpträumen leibhaftig begegnet. Seid froh. Und Jonas Winner wird den Teufel tun, den kleinen Sammy aus seinen Klauen zu entlassen. Bis zum bitteren Ende geht er diesen Weg. Wir sollten eine Gedenkwand für ihn einrichten. Für Sammy, nicht für Jonas. Das hat er schon selbst gemacht. Sammy ist ein klassisches Beispiel dafür, dass unsere Demokratie den Alltag völlig vergeigt. Und da wundert sich unsere, hochgelobte und, jeden Tag aufs Neue versagende,  „Demokratie“, das wir so viele Gestörte haben. Inklusive mehrerer Parteien, wo ja auch nur Gestörte herum laufen. Die Opfer werden vergessen, unter den Teppich gekehrt. Jonas Winner hat hier, nicht nur, wieder ein Meisterstück eines Thriller abgeliefert, sondern gibt auch gleich ein gutes Beispiel, wie sollte ich meine Kinder besser nicht erziehen. Ein Thriller vom Feinsten und, gleichzeitig, eine Sozialstudie, die unsere „demokratischen“ Parteien, die sich das Recht herausnehmen, uns regieren zu wollen, eigentlich zum Umdenken anregen sollte. Überraschung! Warum wird das nicht passieren? Bevor Ihr Eurem Teddybären jetzt Gewalt antun wollt, denkt nach. Das wäre jetzt ein hilfloses Opfer, leicht zu Händeln. Und Hilflose kann man so leicht in eine Ecke schieben. Nur haben wir damit die Ursache? Vater, mach Licht. Und jetzt in Jonas Dunkelheit zu versinken und Eure kleinen Kuschelbären  zu massakrieren, die so unschuldig sind, wird keine Lösung sein. Zieht Euch ansprechende Musik rein. Rujan wäre zu empfehlen. Die „Druschina“ war ja eine schlagkräftige Leibwache für rus-slawische Fürsten. Jetzt könnte die sich auch für gebeutelte Stofftiere auszahlen, die Euch, zeit- und selbstlos, durch Jonas Winners Höllen begleitet haben. Wäre dem Stoff-Bären zu wünschen.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-51276-0  330 Seiten   9,99€ (D)  10,30€ (A)  

JONAS WINNER – Das Gedankenexperiment – Archiv April 2014
JONAS WINNER – Der Architekt – Archiv November 2012