BUCHCOVERREZENSION
Roth.c WeilSieDasLebenLiebte

CHARLOTTE ROTH –

Weil sie das Leben liebten

Da liest man, alles was möglich ist. Thriller, Fantasie, alle Genre durchweg. Nur wenn Charlotte dann ihre Seiten präsentiert, wo sie „normales“ Leben versucht darzustellen, einen „normalen“ Roman schreiben möchte, mehr oder weniger, dann schmeißt man erst mal alles andere in die Ecke. Wenn man Charlotte entdeckt hat, nimmt man das dankbar an und schon kann die Reise durch die Zeit losgehen, die unseren Vorfahren übel mitspielte, zu unserer Geschichte passt, wie die Faust aufs Auge. Franka, ungeliebte Tochter in einer Familie um die Zeit von 1923, muss sich durchbeißen. Ihr Lichtblick sind der Zoo in Berlin, ihr Onkel Gerhard, der gegen ihren verbohrten Vater opponiert, und, seit neuem auch Anni, eine Mitschülerin, die sie vor sexuellen Angriffen eines Lehrers bewahrt, obwohl Franka es noch nicht begriffen hat, wo Anni hier eingegriffen hat und welch ein Vollidiot ihr Lehrer ist. Wer Charlotte Roth liest, wird auch ein Fan von dieser Schriftstellerin, die sich hier wieder von ihrer besten Seite zeigt. Und Charlotte zieht vom Leder, macht vor keiner Grenze halt, bricht durch jede Barriere. Macht die Berliner Geschichte und den Werdegang des Zoos nach dem Ersten Weltkrieg wieder lebendig und beleuchtet viele Schicksale. Auch wenn das nur Beiwerk ist. Die Nationalsozialisten kommen an die Macht. Der Führer und seine Chargen machen sich auf, die, bis hierhin, größte Katastrophe der Menschheit einzuläuten und Frau Roth macht kein Hehl aus ihrer Ansicht, wie dieses Regime zu beurteilen sein sollte. „Das ist das Übelste an einem Staat, der Denunzianten erzieht. Zu glauben, man weiß, wem man trauen darf, kann den Hals kosten.“ Das ist nur eines der farbigen Zitate, die Charlotte aufschreibt, wie diese neue Regierung funktioniert, die als eine der unmenschlichsten der Geschichte eingehen und dem Deutschen Volk einen Stempel aufdrücken wird, den es nie wieder loswerden kann. Aus dem Volk der „Dichter und Denker“ entwickelt sich eines, der „Richter und Henker“ und eines, das sich selbstherrlich über alle anderen stellen möchte. Charlotte Roth ist gut aufgestellt. Dieses Buch geht ja doch mehrere Schritte weiter, als ihre Vorgänger. Auch wenn sie die Vergangenheit schildert, die Thematik ist heute noch hyperaktuell. Und Charlotte schreibt. Da wird einem der Hals eng, was hier passiert ist, das kann man nicht wirklich glauben. Judenverfolgung, Zigeuner weg vom Fenster, als rassentechnisch minderwertig eingestuft und Olympia 1936, wo die Nazis noch einmal zurückruderten, um der Welt zu zeigen, dass sie eigentlich weltoffen sind und es doch nie waren. Charlotte hat es drauf, hier alle Gegensätze offen zu legen. Ihre Figuren sind dem damaligen Leben entsprungen und von ihrer Fantasie belebt. Leute. Da bleibt kein Auge trocken, glaubt es. Unglaublich, was Frau Roth hier präsentiert. War aber unsere Geschichte und daran können wir nun nichts mehr ändern, nur versuchen, es besser zu machen. In „Weil sie das Leben liebten“ zeigt uns Frau Roth einen Spiegel, in den wir, zusammen mit der Autorin, hineinschauen sollten. Eigentlich ohne Vorurteile, aber das wird wohl nicht mehr so funktionieren. Wobei hier gesagt werden muss, „Nie wieder Faschismus“, ist auf der einen Seite ja ganz Okay! Im Blickwinkel dieser Seiten, in JEDEM Fall. Nur, im Hinblick auf die Kriegstreiber aller Art auf dieser Welt, die unser kostbares Leben als Mülltonne benutzen wollen, ist diese Aussage, eindeutig, zu einseitig. Wir, alle Menschen, sind Ausländer, fast überall. „Nie wieder Krieg“ kommt da schon besser rüber. Rassisten, Kriegsgewinnler, Machtdespoten, unter anderem auch unsere Bundesregierung, sind doch genau solche Arschlöcher, wie die Nazis! Und das sind sie Überall! Charlotte hat sich selbst übertroffen und ein Buch abgeliefert, das seinesgleichen sucht. Emotional hochgradig, emphatisch tiefgreifend, man wird der Frau folgen. Charlotte ist eine der besten Federkünstlerinnen unserer Zeit. Wer Frau Roth liest, wird Fan! Garantiert!

(Knaur)

ISBN 978-3-426-51729-1   494 Seiten    9,99€ (D)  10,30€ (A)

C. Roth – Als der Himmel uns gehörte – Archiv August 2015