BUCHCOVERREZENSION
Indridason.a Gletschergrab

ARNALDUR INDRIÐASON –

Gletschergrab

Island-Thriller sind immer etwas Besonderes. Geben sie doch Einblicke in eine ganz andere europäische Gesellschaftsordnung, als wir sie hier auf dem Kontinent kennen. Die Isländer sind ein ziemlich eigenes Volk und haben ein eher gespaltenes Verhältnis zu der Militärpräsenz der Amerikaner, die im Kalten Krieg noch geduldet, jetzt als überflüssig erachtet wird. Arnaldur holt etwas weiter aus. 1945, kurz vor Ende des II. Weltkrieges, stürzte ein deutsches Flugzeug vom Typ JU-52 auf dem Gletscher von Vatnajökull ab, wo sie von einem Orkan im Ewigen Eis verschluckt wird. An Bord sind mehrere Amerikaner und hochrangige deutsche Offiziere und Generale. Sofort wird, von US-amerikanischer Seite, eine Suchaktion gestartet, befinden sich doch auch hochbrisante Geheimnisse in der Maschine. Ergebnisse sind allerdings Mangelware. Die Herren der „freiesten Nation“ der Welt sind besorgt und so wird eine ständige Überwachung des Gebietes eingerichtet. Erst per Patrouillenflüge, später über Satellit. Island wird nicht gefragt, sondern mit irgendwelchen Parolen abgespeist. Arnaldur macht aus seiner Abneigung gegen ein solch abartiges Verhalten keinen Hehl. Island ist ein unabhängiger Staat und will dementsprechend behandelt werden. 1999 ist es wieder soweit. Der größte Gletscher Europas gibt seine Beute wieder ans Tageslicht. Sofort ist die „Weltpolizei“ in Alarmbereitschaft und die Geheimdienste geben grünes Licht für eine neue Bergungsaktion. Natürlich unter strengster Geheimhaltung. Wieder werden die Bewohner der Nordmeerinsel für dumm verkauft, die Regierungsstellen obendrein bedroht und erpresst. Zufällige Zeugen werden skrupellos entsorgt. Elias konnte jedoch noch seine Schwester Kristin anrufen, bevor ihn die Amis festnahmen, misshandelten. Und die sind jetzt hinter ihr her. Alles muss streng geheim bleiben, da sind Mitwisser, egal in welcher Form, unerwünscht. Mord war schon immer sehr probat und ist endgültig. Kristin ist auf der Flucht. Zum Leidwesen der „Schutzmacht aller Demokratien“, die hier über Leichen geht, um so einige Geheimnisse ihrer Vergangenheit auch im Verborgenen zu lassen. Die Zeiten haben sich geändert. Wenn die Vereinigten Staaten Dreck am Stecken haben, und das haben sie zuhauf, dann wird das heute nicht mehr so einfach unter den Teppich geschoben, wie früher einmal. Deshalb führen die Geheimdienstoberen einen Privatkrieg auf der Insel, brechen alle Regeln diplomatischen Umgangs und treten jeglichen Humanismus mit allen Füßen, die sie haben. Arnaldur Indriðason ist auf dem Kriegspfad. Will aufmerksam machen, wie wir hier und heute immer noch an der Nase herum geführt werden. Das macht er sehr anschaulich und auch sehr couragiert. Obwohl er seinen Thriller in seiner Heimat ansiedelt, macht er keinen Unterschied zwischen Island und dem Rest der Welt.

(Lingen)

366  Seiten