BUCHCOVERREZENSION
Gilbers.h Germania

HARALD GILBERS –

Germania

Ist schon Wahnsinn, was passieren kann, wenn die Ordnungsmacht nicht mehr mit den Gegebenheiten klarkommt. Hier setzt Harald mal die ganz große Brechstange an. Reichshauptstadt 1944, die alliierten Bombenangriffe sind an der Tagesordnung, das nationalsozialistische Regierungssystem pfeift auf dem vorletzten Loch und die Ordnungshüter des SD und der SS stehen vor einem Rätsel. Inmitten der Kriegswirren marschiert ein durchgeknallter Serienmörder durch die Ruinen und treibt sein Unwesen. Er hat es auf Frauen, seinem Urteil nach Huren, abgesehen, die er kaltblütig abschlachtet, verstümmelt und abschließend drapiert, vorzugsweise vor Kriegerdenkmälern, die in unmittelbarer Nähe zur Bevölkerung stehen. Das riecht nach Wehrkraftzersetzung, wär doch ein Zufall, dass alle Opfer Beziehungen zur NSDAP pflegten. Harald Gilbers gibt einen Blick auf eine gemarterte Stadt frei, die jetzt noch ein anderes Problem hat. Serienmörder zu entlarven ist kein Rummelvergnügen. Und nun zieht Harald richtig vom Leder. SS-Mann Vogler, in Opposition zu seiner Führungsriege, reaktiviert Robert Oppenheimer. In den Zeiten der Weimarer Republik, vor der Machtergreifung der NSDAP, einer der erfolgreichsten Kriminologen, seines Zeichens ein jüdischer Mitbürger, in Mischehe verheiratet mit Lisa, was ihn, bisher, vor den Verfolgungen etwas „Schutz“ angedeihen ließ. Gilbers malt ein düsteres Bild. Krieg, Vertreibung, Benachteiligung, Bomben und Tod an allen Ecken der Stadt, mittendrin Oppenheimer, der durch die Judenverfolgung und Nürnberger Rassengesetze, sehr eingeschüchtert und paralysiert ist. Nun soll ausgerechnet das erklärte Feindbild der Ariersophen  einen Mordfall lösen, bei dem der rücksichtslose Staatsapparat keinen Fuß in die Tür bekommt. Wirklichen Spielraum hat er nicht. In seinem Bekennerschreiben bezeichnet sich der Mordbube als linientreu und loyal der Hitler-Clique gegenüber und lässt keinen Zweifel daran, sein Spiel weiter durch zu ziehen, natürlich nur, um seinem Führer zu dienen. Oppenheimer steht nicht nur vor dem Problem, den Mörder zu finden. SS-Hauptsturmführer Vogler und seine Vorgesetzten sind sehr daran interessiert, dass der Täter als Volksschädling schachmatt gesetzt und alles, was in Richtung Partei gehen könnte verschwiegen wird. Aufklärung der Mordserie hat zwar Vorrang, selbst einer der Stellvertretenden Obersten Größten Meister, Propagandachef Goebbels, suspendiert Oppenheimer, vorrübergehend, vom Judentum. Dafür gibt es ja das Zitat von Herrmann Göring: „Wer Jude ist, bestimme ich!“. Nur, was passiert, wenn der Durchgeknallte in ganz anderen Sphären zu suchen ist? Und Harald hat noch ein Ass, eher viele, im Ärmel, er drückt die Spannung zu Alarm-Rot. Nicht nur die Alliierten werden in ihren Bombenangriffen immer brutaler, der Vollspinner wird es auch. Und jedes Mal muss Vogler erkennen, dass er zwar den richtigen Mann involviert hat, nur leider zur falschen Zeit. In der NS-Propaganda haben jüdische Mitarbeiter nicht wirkliche Fans. Und der Hauptsturmführer ist, trotz seines Glaubens an Oppenheimer, immer noch ein Kind seiner Zeit. Harald Gilbers legt gleich zwei Bücher vor den Leser, das erste ist ein Wahnsinnswerk, das zweite ein Werk des Wahnsinns. Hypertoll geschrieben, mit einem Einblick in Abgründe, die zeitlos sind und bleiben werden.

(Knaur)

ISBN 978-3-426-51370-5   532 Seiten     9,99€ (D)  10,30€ (A)