BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

ULRIKE DRAESNER –

Kanalschwimmer

Irgend etwas könnte einen jetzt irritieren. Aber später. Charles hat ein Problem. Seine Frau Maude hat einen Plan und schon hat Charles Bauchschmerzen. Man bekommt ja nicht alle Tage als Vorschlag auf den Tisch, das man, nach siebenunddreißig Ehejahren, plötzlich eine Wohngemeinschaft aufmachen möchte und das mit einem Menschen, den man eigentlich schon lange aus seinem Leben verbannt hat. Auch wenn der mal der beste Freund war, wähnte man ihn in fernster Vergangenheit und weit, weit weg. Plötzlich steht Silas wieder auf der Matte, als wäre kein Tag wirklich die Themse herunter gerutscht. Warum Ulrike Draesner jetzt in eine mehr oder weniger gut funktionierende Ehe hinein grätschen will, ist ihr Geheimnis. Aber, wie schon die Mitglieder der Band OST+FRONT im Titel „Zaubertrank“ feststellen mussten, „drum prüfe, wer sich ewig bindet...“, dürfte hier wohl eine neue Bedeutung finden. Nur bevor Charles jetzt den Zaubertrank brauen wird, auf den Gedanken kommt er ja noch nicht mal, macht sich in ihm ein neuer Gedanke breit. Leute, nicht nachmachen, wenn Ihr unsportlich seid, oder nicht schwimmen könnt, oder Ihr mit solchen Gedanken alleine seid. Das kann und wird schief gehen. Solltet Ihr Beziehungsprobleme haben, stellt ihnen Euch oder geht diesen aus dem Weg, wenn es nicht anders geht. Auch wenn Charles gern den Dickens geben möchte, seine Pläne sind doch recht abenteuerlich, vor allem in seinem Alter und seiner körperlichen Verfassung. Was Frau Draesner jedoch nicht davon abhält ihren Protagonisten, wortwörtlich, ins Wasser zu werfen und zwar, punktgenau, in den Ärmelkanal auf die Route von Dover nach Calais. Auch wenn das die geringste Entfernung zwischen dem Strand der britischen Hauptinsel zum französischen Festland ist, und hier so mancher Wettkampf, ob mit sich selbst, gegen andere oder in zeitlichem Abstand zu anderen stattgefunden hat und auch immer wieder ausgetragen wird, weil manche Menschen das nicht anders können, sollte man aber auch feststellen müssen, dass es einige Opfer gab, die nie wieder auftauchten. Oder auch solche, für diese Leute vermutlich schlimmer, für die diese Aufgabe unbezwingbar war und sie damit in Depressionen trieb, oder oder … ohne Worte. Wenn man solchen Mammutprojekten ins Auge schauen will, sollte man klar abwägen, wie ist man drauf und was will ich damit erreichen. Sicher, eine sportliche Aufgabe hat schon so manchen Reiz, aber doch bitte nicht, wenn man über fünfzig ist und das Katzentier allein und verwaist zu Hause zurück bleibt, während man selbst durch die Dreckbrühe des Ärmelkanals pflügt und mit den Abfällen der Zivilisation zugemüllt wird. Obwohl man sich Sport doch etwas kreativer vorstellen könnte, hat das so ein bisschen mit „Rise of Kronos“ von der Band CYCLES, unter aktiver Mitwirkung von Britta Goertz, am Hut. Ist aber nicht das Thema von Ulrike Draesner. Charlie will sich Gedanken stellen und wenn er allein durch die meistbefahrene Schifffahrtsroute Europas schneidet, ist er der Meinung, sich allen seinen Geistern einer Vergangenheit stellen zu können, die er eigentlich schon als begraben gedacht hatte. Oder wie Gajus Julius Caesar, auf dem zwiespältigem Weg nach Rom, beim Überschreiten des Flusses Rubicon sagte, „ Alea iacta est“. Der Würfel ist gefallen. Es gibt kein Zurück mehr. Nur, während Caesar, zumindest nach der Überquerung seines Schicksalsflusses, immer festen Boden unter den Füssen oder den Pferdehufen hatte, trennen Charles mehrere Meter Wasserschichten mit unterschiedlichen Strömungen und auch die Wetterverhältnisse von einem sicheren Stand, und zwar abwärts. Aber das ist bei seinen wackligen Suchvorgängen nach Erkenntnis nicht wirklich von Belang. Sein Hang, sich selbst zu erkennen zu wollen, oder sich sozusagen, wenn nötig, selbst neu zu erfinden, treiben ihn in die trüben Wassermassen des Ärmelkanals und somit in den Würgegriff der Natur, die ziemlich unspektakulär mit kleinen Menschen, die sich ihr entgegenstellen wollen, umgehen wird. Für alle „Friday for Future“-Hüpfer, die es nicht besser wissen können, weil sie keinen Klimaforscher befragen werden, sondern mit Knochen würfeln wollen, wir müssen die Erde nicht vor uns schützen, das macht sie allein. Für diese Erkenntnis braucht es nicht ein mal Schulbildung, sondern nur die Auswertung eines Eisbohrkernes (was manche Klimaforscher ja machen), wenn man das dann zur Kenntnis nehmen möchte. Erst kommt die Erderwärmung. Und dann, wenn die Temperatur schon wieder am Sinken ist, und erst dann, entwickelt sich CO2. Logisch, da CO2 ein chemisch-biologisches Nachfolgeprodukt ist. Wird Charles jetzt aber nicht beschäftigen, weil er noch im Ärmelkanal herumtreibt. Ob er damit seine Eheprobleme in den Griff bekommt, na Leute, was glaubt Ihr?
(Penguin)

ISBN 978-3-328 –10687 – 6 174 Seiten 12,00 € (D) 12,40 € (A)