BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

CHRISTIAN KRAUS –

Tief wirst Du schlafen

Hundert Prozent, der Leser wird nicht gemeint mit diesem Titel. Der wird eher Probleme mit seinem Schlaf bekommen, da er immer weiterlesen möchte. Man will ja schließlich wissen, was der Autor mit seinen Romanfiguren vorhat. Und das Thema, welches Herr Kraus heute ansprechen möchte, dreht sich rund um die Hypnose. Kann man anwenden, beispielsweise im psychologischen Bereich, wenn der Patient nicht von allein aus sich heraus kommen kann und gerade hier war doch schon so mancher Psychotherapeut durchaus erfolgreich. Aber ,wie alles im Leben der Menschen, ist auch die Hypnose ein zweischneidiges Schwert, mit dem man viel Unheil stiften kann, wenn das Prozedere in die falschen Hände gelangt. Ob es so funktioniert, sei dahin gestellt. Mit diesem Problem muss sich jetzt Professor Doktor Kerber herumschlagen. Was hat er nur angestellt, dass er diesen undankbaren Job über gebügelt bekommt? Hat Herr Drosten ihn als Querdenker bezeichnet, wie den Virologen Streeck? Oder hat er Corona mit Grippe verglichen, bevor es ein Veterinärmediziner! vom Rechenkunstinstitut (RKI) in der Berliner Seestraße das getan hat? Das wissen nur der Schriftsteller und Herr Kerber selbst, der sich zu diesem Thema jedoch in Schweigen hüllt, spielt ja für das Buch auch keine wirkliche Geige. Zumindest nimmt sich Dr. Kraus fürsorglich seines Kollegen an, auch wenn er dabei einige Hintergedanken hat. Um die Romanfiguren in Sicherheit zu wiegen, bekommt der Leser, auf den ersten Seiten, erst mal etwas anderes serviert, als die Protagonisten, die noch in einer Ecke hoffnungsvoll darauf warten, dass der Schierlingsbecher, den Dr. Kraus gemixt hat, irgendwie an ihnen vorüber geht. Ein Hypnose-Video dreht seine Runden in den „sozialen“ Medien, das dazu aufruft, Grenzen zu überschreiten, sich über Linien hinweg zu setzen und schon hat man das Gefühl, dass, wenn man in einer Beziehung lebt, die nicht wirklich so erfüllend ist, man besser die elektrischen Küchengeräte abschaffen und sein Hackfleisch für Buletten doch mit der Hand kneten sollte. Hätte Günni vielleicht das Leben gerettet, oder auch nicht. So ein Hieb mit einer, nach Möglichkeit etwas schwereren, Pfanne könnte ja auch tödlich enden. Bei dem farbenfreudigen und engagierten Schreibstil des Autors kennt die Fantasie ja keine Grenzen. Aber kommen wir zu Christoph Kerber zurück. Noch fühlt er sich sicher, er kennt das Drehbuch des Autors noch nicht und hat eine heimelige Umgebung, in der er agiert. Freundin Eva ist hochschwanger und er darf sich forensischer Psychiater und Gerichtsgutachter nennen. Also sind das Familienleben und sein Beruf im Einklang, auch wenn Herr Kraus zusätzlich noch eine falsche Spur legt, um seiner Figur vorzugaukeln, das alles noch im grünen Bereich ist. Hier sollte Professor Kerber jedoch dankbar sein, in Hamburg bleiben zu können, da die Charité in Berlin, an der er gerne gelehrt hätte, der Spielplatz von Herrn Drosten ist und den muss man sich nicht antun. Wäre vermutlich schlimmer, als im Buch mit zu arbeiten und, mal ehrlich, wer hat in seiner Praxis schon Bilder von Wassily Kandinsky zu hängen. Herr Professor Kerber bekommt die Aufgabe als Gutachter vor Gericht aus zu sagen, gegen einen Clanmitglied, der mal schnell einen seiner Untergebenen eliminiert hat und jetzt einen auf Macke machen will. Dessen Anwalt ist berüchtigt dafür Staatsanwälte, Zeugen und auch medizinische Gutachter, gleich einem Löwenrudel, völlig zu zerfetzen und zum Frühstück zu verspeisen. Davon lässt sich der gute Professor jedoch nicht beeindrucken, macht mutig seine Aussage, die den Angeklagten, der seine Felle davon schwimmen sieht, durchdrehen lässt und schon hat Christoph Kerber einen Bleistift im Hals zu stecken. Christian Kraus ist nicht nur Arzt mit mehreren Fachgebietsbezeichnungen, sondern auch sehr fantasievoll mit dem Umgang von Dingen des gewöhnlichen Alltags, da kann man noch etwas lernen. Man kann das aber auch sein lassen, was für den persönlichen Frieden bestimmt zuträglicher ist. Da sollte man besser bei seinem Buch bleiben und der Dinge harren, die da kommen, da der Leidensweg der Protagonisten gerade erst begonnen hat. Während dessen geistert immer noch dieses Hypnose-Video herum und die Auswirkungen treiben seltsame Blüten, Günni war nur der Anfang. Auch hier wird Professor Kerber zu Hilfe gerufen, da man davon überzeugt ist, das Karina ihren Freund eigentlich nicht töten wollte, sondern sie unter Umständen von diesem Video beeinflusst gewesen sein könnte. Ob das wirklich so funktioniert, nun ja warum nicht. Es geht ja auch ohne Hypnose. Man muss ja nur die Nachrichten sehen, sich die Propaganda antun und schon kann man die Auswirkungen spüren, die dieser Niederschlag hinterlässt. In der Darstellung dieser Tatsachen ist Herr Doktor Kraus recht kreativ, auch wenn er das auf diesen Seiten andere aussprechen lässt. Und, da war doch noch was mit einem Schierlingsbecher, gefüllt mit, natürlich, einem moderneren Gift. Christian Kraus geht wieder Wege, um so einige Mitmenschen zu beleuchten, bei denen die Schrauben sehr locker sitzen, die verblendet und verbittert sind. Man könnte das auch als fehlgeleitete Persönlichkeitsentwicklungen bezeichnen. So schwebt über seinen Figuren das Damoklesschwert und man kann froh sein, das bei einem Anfall von Wut nur ein öffentlicher Mülleimer darunter leiden muss. Krav-Maga wird eine recht wirkungsvolle Kampfsportart sein, wenn man sie beherrscht und Selina Yilmaz hat das von Pike auf gelernt. Da hatte der Mülleimer nichts zu lachen.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-30788-5 419 Seiten (+ Anhang) 10,99€ (D) 11,30€ (A)

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