BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

A.K. TURNER –

Tote schweigen nie

Wenn Tote eine Geschichte zu erzählen haben, und das haben die meisten, dann sollte man ihnen gut zuhören. Auch wenn man sie nicht mehr lebendig machen kann. Aber vielleicht erwirkt man doch noch postum etwas Gerechtigkeit, oder kann Gegebenheiten feststellen, die anderen helfen könnten, Fehler zu vermeiden. A.K. Turner schickt eine schillernde Figur an den Start, die auf die Stimmen der Toten hören möchte, Cassandra Raven, Sektionsassistentin in einer Pathologie. Nur ist Cassie anders als andere, voll im Goth-Look, mit Tattoos und zahlreichen Piercings hebt sie sich aus der Masse der normalen Menschen genauso ab, wie ein Paradiesvogel unter den Spatzen. A.K. Turner hatte ihr wahre Freude daran, diese Figur zu entwickeln, welche zuerst für eine BBC-Radiosendung gedacht war. Warum nicht auch eine Romanfigur daraus machen, die beschwingt durch die Seiten tobt und das Leben und Lesen des Buchkonsumenten mal richtig aufmischt. Nun ja, eigentlich wirft Frau Turner Cassie in ein Haifischbecken und schaut zu, wie sich eine, mehr oder weniger am Mainstream unangepasste, Figur entwickeln könnte und hier, kann man im Vornherein schon final feststellen, hatte sie ein gutes Händchen. Trotz aller optischen Defizite, die ihr so manches Vorurteil in die Wiege legen, macht sie ihren Job und meistert ihr Leben, was bei einer Schriftstellerin, die so ziemliche Steine in Cassies Wege rollen will, nicht ganz so einfach sein wird. Zumindest ist Oma eine große Hilfe. Und Oma kommt aus Polen, einem Land mit vielen Weisheiten und einer Geschichte, die in Europa doch ihres gleichen noch sucht. Bevor Cassie jedoch einem normalen Job nachgehen wird, soweit man das von einer pathologischen Assistentin so sagen kann, macht sie sich auf den Weg des Vagabunden. Mal hier, mal da, ein bisschen kiffen, Obdachlosenzeitungen verkaufen, nie wirklich sesshaft, orientierungslos. Ob Frau Turner hier auf Ken Jebsen gehört hat, müsste man sie mal fragen. Im Wort Orientierung steckt ja auch der Begriff Orient und, wie Ken Jebsen das mal feststellte, hat Goethe die Sprache Farsi gelernt, um die großen Denker des persischen Kulturkreises besser zu verstehen. Zurück zu Cassie. Noch mitten im Nomadendasein tritt plötzlich eine Frau in ihr Leben und krempelt das mal gründlich um. Heraus kommt, das was Cassie heute ist. Mrs E. glaubt an das Potential ihrer Schülerin und, voilà, hier ist sie in voller Größe. Und jetzt die Qualifizierteste unter gleichen. Und schon hat A.K. Turner nichts besseres zu tun, als ihre Protagonistin in eine Vollbeschäftigung zu schicken, ganz klar eigentlich, man schreibt ja kein Buch vor dem der Leser sich langweilen wird. Das Ziel zu fesseln steht ganz klar im Vordergrund und dieses Buch schafft das spielend. Schon liegt Mrs E. im Kühlfach und Cassie sollte eigentlich als zu befangen gelten, um hier und jetzt arbeiten zu können. Aber ihr Bauchgefühl und ihre Fähigkeit, in den toten Gedanken lesen zu können, sagen ihr, das mit dem Tod von Mrs E. etwas ganz und gar nicht stimmen kann. Und dazu klaut jemand eine Leiche aus der Pathologie. Mit diesem Fall wird Detective Sergent Phyllida Flyte betraut, die sich immer konform kleidet, korrekt benimmt, zumindest glaubt sie das von sich selbst, ansonsten jedoch anscheinend aus der Antarktis kommt, zumindest was ihr Auftreten angeht. Und jetzt treffen die, wie aus dem Ei gepellte, Polizistin und eine, doch eher spektakuläre, Gestalt aufeinander und die Sympathie füreinander hält sich in ganz engen Grenzen. Und trotzdem sind sie, an sich, auf einander angewiesen. Es gibt schließlich Verbrechen auf die Spur zu kommen. Da gibt es für den Leser so machen Moment zum Grinsen, da einige Methoden doch vom gesellschaftlichen Durchschnitt, gelinde gesagt mehr oder weniger, abweichen werden und da braucht man als Gegenpart schon einige Geduld, wenn man dann nicht schnelle und somit nicht hilfreiche, sondern langfristig vertretbare Erkenntnisse haben möchte.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28248-9 394 Seiten 16,00€ (D) 16,50€ (A)