BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

DR. SABINE FITZEK –

Verrückt

Mathias Kammowski ist wieder da. Um ihn bei Laune zu halten, gibt sich Frau Fitzek die Ehre, ihm eine neue Freundin und Lebenspartnerin anzuvertrauen und auch seine Tochter Charlotte ist bei ihm unter geschlüpft, weil sie in Berlin studieren möchte. Nur, Christine ist gerade in der Mongolei unterwegs und von der Anwesenheit seiner Tochter merkt „Matze“ auch nicht viel, da sie das Berliner Leben, besonders das nächtliche, in vollen Zügen auskostet. Und dabei hatte er extra Urlaub genommen, um für sie da sein zu können. Dafür wird er jetzt, am Wochenende, mit herzhaft lauter Musik, live vom Klavier aus der Nachbarwohnung, geweckt und muss allein frühstücken. Hüte Dich vor Griechen, wenn sie mit Geschenken kommen, lautet ein altes Sprichwort, das sogar schon dem alten Homer geläufig war, und das bewahrheitet sich auch schon wieder. Da wird sich Matze wohl dran gewöhnen müssen, immerhin schreibt Frau Dr. Fitzek keinen Arzt- oder Liebesroman, sondern einen Krimi, der es in sich hat. Und das macht sie doch wieder in der Abteilung „Absolut Super“. „Verrückt“ liest sich in einem Zug durch. Mit schockierenden Momenten, klar bei der Sachlage, die sie unter die Lupe nehmen möchte, aber auch mit humoristischen Einlagen, die das kurzweilige Lesen angenehm unterstützen werden. Auch wenn das Glucksen in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stoßen könnte, sollte das dem Buchkonsumenten letztendlich egal sein und wenn man Gleichgesinnten begegnet, ist es durchaus von Vorteil, da man sich sofort austauschen kann. Lesen bildet nicht nur, es verbindet auch und mit diesem Buch von Sabine Fitzek geht das auch sehr schnell. Vor allem dann, wenn gerade die Ampelanlage ausgefallen ist und man sich dann vorstellt, wie eine Person im Pinguin-Kostüm plötzlich den Verkehr regeln möchte. Ob Kommissar Kammowski das genauso sieht..., eigentlich schon. Auch wenn seine Lieben, die ihm gerade nähergekommen sind, auf anderen Wegen unterwegs sind. Und ein Mordfall seinen Urlaub verdüstert. Ein vierzehn Jahre junges Mädchen wird in der Hasenheide aufgebahrt gefunden, gewürgt, erschlagen, schwanger. Sie kam aus zerrütteten häuslichen Verhältnissen und eine Identifizierung fällt den Beamten schwer. Manchmal kommt aber Kommissar Zufall, Matzes Tochter, vorbei. Die Spurensuche läuft auf Hochtouren und sehr schnell schiebt sich eine Person in den Fokus der Ermittler. Oliver Beckmann. Der Sohn von Kammowskis Nachbarin, und auch sein Wecker zu allen Tages- und Nachtzeiten mit klassischer Klaviermusik, war zweifelsfrei am Tatort. Allerdings ist Olli nicht wie andere Kinder. Er leidet unter einer paranoiden Schizophrenie schweren Ausmaßes, lehnt eine Behandlung jedoch kategorisch ab, was ihn noch verdächtiger macht. Mit den Worten eines „Normal“-Bürgers, draußen läuft gerade ein Irrer herum. Und sein Verhalten gibt Anlass zu Bedenken. Hier will Sabine Fitzek jedoch mal einen Schnitt machen. Es gibt Normalos, die sind schlimmer als so mancher „Irre“. Die Frage, wer entscheidet darüber wird hier knallhart angesprochen, genauso wie so manche Zuständigkeit doch eher im Sand versickert, weil die Gegebenheiten alles andere als wohlgeordnet sind. Ethnische Fragen mit dem Alltag kollidieren und dann doch keiner einen Entscheider machen kann, weil die Gesetzeslage einfach keine Möglichkeit hergibt, oder weil das Gesundheitssystem komplett überfordert ist und man nirgendwo Rückendeckung bekommt. Es kommt einem so vor, als seien die Menschen, die psychische Probleme und Erkrankungen haben, nach hinten abgeschoben worden, wo sich keiner für sie interessiert, es sei denn man kann mit ihm Schlagzeilen machen und als einen potentiell Verdächtigen hinstellen. Wenn der hinter Gittern verschwindet, würden sich auch die Bremer Stadtmusikanten keinen Kopf darum machen, warum ihr Hahn plötzlich den Schnabel hält. Und Olli ist für diese Rolle gerade zu prädestiniert. Die tote Lena ist seine Mutter Gottes, die zu ihm spricht, ihn zu einem ihrer Ritter erhoben hat, um jungen Mädchen das Leben zu retten, ihn zu einem Mitglied des Geheimbundes der Pinguine ernannte, um den Satan mit seinen vielen Gesichtern wirkungsvoll zu bekämpfen. Dabei läuft er herum, wie der blinkende Truck von Coca-Cola zur Weihnachtszeit. Zeitnah verschwindet wieder ein junges Mädchen und man kann das mit Oliver Beckmann in Verbindung bringen. Fahndung und Zugriff, wobei auch hier wieder klar wird, wer mit offenen Augen durchs Leben geht, kann doch mehr von seiner Umwelt mitbekommen, und so ist wieder Kammowskis Tochter der Operateur spektakulär, weil sie weiß, wo sich Olli mit seinem vermeintlichen Opfer aufhält. Er hatte sich nicht verstecken wollen. Und Laura sieht sich auch nicht als Opfer, sondern besteht ihre wichtige Mathematikprüfung. Ja, der Knabe ist schon sonderbar, vor sich hin brabbelnd und als eine wandelnde Lichterkette verkleidet, aber als Mathelehrer unschlagbar. Spätestens jetzt sollte man sich nach anderen Verdächtigen umschauen, wobei man vielleicht auch die Äußerungen von Oliver Beckmann auf den Prüfstand stellen sollte. Trotz seiner Erkrankung hat er doch so einige Dinge im Blickfeld, auch wenn er das nicht zusammenhängend und oder verständlich äußern kann. Mitglieder vom Orden der Pinguine sollen ja nicht den „Normalos“ den Weg weisen, sondern Satan bekämpfen. Und schon steht ein Pinguin mit einem Schwert in einem Berliner Schlafzimmer, um seinen Feldzug fortzusetzen. Oliver hat noch etwas zu erledigen. Musikalische Untermalung könnte man sich von der Band EPICA holen, ein Silberling ist gerade mit dem aktuellen Magazin „Legacy“ erhältlich. Die Musik hat zwar nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun, aber die Stimme von Simone Simons ist doch immer wieder ein schmeichelndes Gedicht. Ein vorläufiges Fazit ist, Frau Dr. Sabine Fitzek hat mit ihrem zweiten Roman wieder voll auf Augenhöhe geschrieben und die Erwartungen des Lesers weit übertroffen. Das nächste legt nahe, lasst sie weiterschreiben.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52451-0 330 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A)

DR. SABINE FITZEK – Verrat – Archiv August 2020 TIPP