BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

VITU FALCONI –

Das korsische Begräbnis

Was macht man, wenn man gleich drei Bücher gleichzeitig übergeholfen bekommt? So passiert mit Vitu Falconi. Man fängt mit dem ersten an, weil man jetzt die Chronologie einhalten kann. Manchmal kann das ja auch anders sein. Jetzt, im ersten Teil, als Korsika-Krimi untertitelt, darf man problemlos feststellen, hier zuzugreifen wird, garantiert, kein Fehler sein. Und schön ist, man kann am Anfang beginnen. Ist schon gute spannende Unterhaltung, die Vitu vor dem Leser ausbreitet. Im Gegensatz zu seinem Protagonisten, dem Schriftsteller, den er jetzt in den Ring wirft, sich den Lesern zu stellen, die sich eigentlich schon von ihm abwenden wollen, hat er dessen Probleme garantiert nicht. Eric Marchand, vorher mal ganz erfolgreich als Krimiautor unterwegs, steckt jetzt irgendwie fest. Die Ideen gehen ihm aus und seine Hauptfigur hat das dringende Bedürfnis sich zu verabschieden. Leider will der Lektor des Schriftmaxen etwas anderes und so muss Eric sich einem ganz großen Problem stellen. Sein Leben hat sich festgefahren, zwischen früheren Erfolgen und dem Weg, der gerade steil bergab geht und den Wissen, das sich seine Romanfigur verselbststädigt hat und sagt, gehst Du unter, dann gib mir wenigstens eine würdevollen Abgang. Oder ich suche mir selbst einen. Während Vitu Falconi jetzt freudestrahlend seinen Kaffee arrangiert, er kann ja davon ausgehen, das Eric Marchand nicht den Weg seines Kriminalkommissars Figuret gehen möchte, muss dieser Schriftsteller jetzt mit einer Schaffenskrise ohne gleichen kämpfen. Und seine Beziehungen zum anderen Geschlecht überdenken. Während Vitu Falconi, im Kreise seiner Familie und seiner Schriften sich doch wohlfühlen dürfte, hat Eric gerade ein Damoklesschwert über dem Kopf. Ja, sicher, eigentlich kann es nur eins geben. Aber die Geschichte hat gezeigt, auch Damoklesschwerter haben haben sich vervielfältigt, bis hin in unsere Zeit verstärkt vermehrt und eines hängt gerade Vitus Romanfigur am Hacken. Eric Marchand braucht eine Auszeit. Er flieht regelrecht und hinterlässt eine Geliebte, die jetzt richtig sauer ist. Und das wäre das kleinere Übel gewesen. Wäre ihm das bewußt geworden, was ihn erwartet, hätte er beim Bäcker doch lieber frische Croissonts eingesackt, frischen Kaffee gekocht und bei Fleurop einen duftenden und farbenfrohen Blumenstrauß geordert, und, vielleicht, doch noch mal neu mit der alten Freundin angefangen. So strandet er auf Korsika. Wenn es irgendwo in Europa einen Menschenschlag gibt, der nie vergisst, dann ist der auf dieser mediterranen Insel wohl richtig präsent und heimisch. Damit können alle anderen Europäer und Mittelmeeranrainer, nicht konkurrieren. Die Sizilianer, Mittelitaliener, Sardinier, Griechen, Türken. Selbst weltweit gesehen, mit der Engstirnigkeit der Korsen kann keiner mithalten. Auch nach über hundert Jahren gilt für sie noch die Blutfehde. Dass ein Nachkömmling einer Familie, die dort mal den Genozid von anderen Menschen in Kauf genommen hat, nicht einmal den Hauch einer Ahnung hat, was passiert ist, vor Achtzehnhundert-Feuerzeug-Zeiten, spielt keine Rolle. Napoleon Bonaparte kam auch von dort. Und dessen Starrsinn hat unsre heutigen Demokratien begründet, allerdings mit einer moderneren Auslegung. Die Korsen sind zwar, zeitnah, immer noch stolz auf den französischen Kaiser, der aus ihren Reihen kam, immerhin hat er Blut und Feuer über ganz Europa gebracht, aber mit seinem früheren revolutionären Gedankengut haben sie auch heute noch nichts am Hut. 1872 haben Erics Vorfahren ein Blutbad veranstaltet und, heute 2017, wo er der Welt des Materialismus und des Scheins entfliehen will und auch keinen Schimmer hat, wer er für diese Insel ist, hat er sich in eine Schlangengrube chauffiert. Er ist der letzte Nachfahre der Giuliani, der Schlächter des Santini-Clans und das „kollektive“ Gedächtnis dieser Insel hat das nicht vergessen. Wie dämlich kann man denn sein. Der Mann ist eigentlich Schriftsteller, will weg von seinem festgefahrenen Leben und hat mit den damaligen Geschehen nichts, aber auch nichts, zu tun. Er weiss es ja nicht einmal. Keiner hat ihn eingeweiht. Er will nur Ruhe und seine Schreibblockade überwinden. Statt dessen wird er zur Zielscheibe von Leuten, die anders ticken, als andere. Die den Spruch Leonardo Da Vincis „wer Böses nicht bestraft, befiehlt es zu tun...“, irgendwie anders interpretieren, als der große Meister sein Zitat gemeint hat. Als Leo diesen Spruch vom Stapel lies, hat er garantiert nicht daran gedacht, welches Ei er in eine korsische Gedankenwelt gelegt haben könnte. Und die Nachverwandten Napoleons haben auch nichts besseres zu tun, als den letzten Giuliani jetzt zur Hetzjagd freizugeben. Vitu Falconi dürfte sich grinsend die Hände reiben. Er hat ja schon, unter einem anderen Namen, so einige Romanfiguren in den Wahnsinn getrieben und diese Liste ist doch schon ganz schön lang geworden. Eric Marchant, so unbedarft wie er nach Korsika eingereist ist, muss sich strecken. Dazu lernt er Laurine kennen. Perfekt für den Diktator Vitu Falconi. Im Gegensatz zu seiner Romanfigur hat er keine Schreibblockade, sondern wieder eine klare Linie in seinem Schaffen. Warum er dazu jetzt einen anderen Namen nimmt, sollte sein kleines Geheimnis bleiben, es sei denn, er lüftet das selbst. Eric wird zusammengeschlagen, sein Auto so manipuliert, das er Formel-I-mäßig durch die Serpentinen der korsischen Berge herumrudern muss, was vermutlich nicht einmal Kamikaze-Fahrer Takuma Sato geschafft und lebend überstanden hätte und dann, jetzt kommen Erinnerungen an den Anfang des Romans, zu einer Wildschweinjagd eingeladen. Das so etwas tödlich enden wird, dürfte Paolo Cesari nur zu gut noch im Gedächtnis haben. Den hat man ja gleich auf den ersten Seiten beseitigt und beerdigt. Jagdunfall. Und Eric hat an seinem Grab gestanden. Nur, seine „Gastgeber“ seiern ihn voll, von wegen Handschlag und Männertum. Machogehabe triffst wohl besser. Und wer in den Bergen mal vom Grat fällt, den findet man so schnell nicht wieder. Es sei denn, man hat mit David Lama mal einen Crashkurs im freien Klettern gemacht, ganz viele Schutzengel oder einen wohlwollenden Vitu Falconi als Schriftsteller.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52171-7 352 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)