BUCHCOVERREZENSION
Bakinert DasGestohleneKind

TAMER BAKINER –

Das gestohlene Kind (mit MATILDA WALZER)

Ja! Hammerteil und Tagesaufgabe in einem. Da muss man nicht wirklich viel zu sagen. Obwohl… Tamer Bakiner schreibt sich mal etwas vom Herzen. True-Crime steht auf dem Umschlag. Dass es, teilweise, autobiografisch ist, sich aber auch aus vielen anderen Zusätzen zusammenfügt, eröffnet er erst in seinem Nachwort. Hier stellt er eine Frage an den Leser und die beantworten wir auch sofort. Sicher, Tamer, schreib weiter. Dieses Buch war, ist, und bleibt faszinierend. Wie viele Gegensätze es im Leben geben kann, schlägt, mit voller Wucht, auf den Literaturkonsumenten ein, der, eigentlich, keine wirkliche Ahnung vom Leben hat, wenn man nicht wirklich mit der Materie befasst ist. Das ist doch mal eine gesellschaftliche Breitseite. Wir sitzen in unserem gemütlichen Lesesessel, die Katze auf dem Schoss, mit lesefreundlich gedimmten Licht und einer leckeren Dose Pils in handangenehmer Reichweite und Anschlag (schöne Grüße von und an Frau Durant, Andreas Franz und Daniel Holbe), versuchen unseren Feierabend zu genießen, der nach acht Stunden harter Arbeit auch wohl verdient ist. Nur vergessen wir dabei immer wieder die Menschen, denen es schlechter geht. Andererseits? Warum kann sich, auf dieser Erde, das buddhistische Weltbild, das Herr Bakiner auch recht farbenfroh umreißt, nicht durchsetzen. Was ist denn an diesen Grundsätzen schlecht oder falsch? Zitat: „Gutes tun, niemandem Leid zufügen und den Geist reinigen“. Eigentlich sagt das jede Religion, nur, das macht kaum einer. Bei unseren Politiker hat sich ja mehr der Grundtenor durchgesetzt, lieber kassieren als regieren, und das scrollt sich, unheilvoll, nach unten oder oben, je nachdem, wie man das betrachtet, weiter. Zurück zu Tamer Bakiner. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen und des True-Crime-Hintergrundes seines Buches kann man ihm auf die Fahne schreiben, das er seine Figuren, in den Seiten, nicht nach Lust und Laune herumschubst, wie das andere Schriftsteller gerne machen (Ähnlichkeiten mit realen Personen sind ja nicht gewollt oder beabsichtigt) sondern gibt Dinge dar, die sich unter unseren Augen auch tatsächlich abgespielt haben, in der Vergangenheit, und sich in unserer Gegenwart auch fortsetzen werden. Ohne Frage. Da sollte man schon mal hellhörig werden, wie das in unserer Zukunft weitergehen soll. Heiraten über Nationalitätsgrenzen hinaus mögen ja schön sein, nur sind wir dem auch gewachsen? Sind wir, alle Menschen rund um den Erdball sind hier angesprochen, überhaupt in der Lage, andere Kulturen zu verstehen? Wer das nicht kann, sollte, mit sich selbst, doch in die nächste Fragerunde gehen. Leider hapert es hier, und zwar auf allen Linien. Trotz aller Religionen, die alle, samtweich, Nächstenliebe predigen. Trotz aller Politiker, die sich unter dem Deckmantel der Demokratie, extrem wortreich, wie genauso extrem wahrheitsfremd gerne äußern wollen und, mit Krokodils-Tränen in den Augen, die Opfer von kulturüberschneidenden Katastrophen jetzt beweinen wollen. Das man sich aber dann doch hinter, lieber kein Rassismus, aber einem kalkulierten Unverständnis verstecken möchte, ohne den offensichtlichen Realitäten ins Auge blicken ist schon spektakulär. Mit unserer ehemaligen FDJ-Sekretärin, Kurzzeichen Bundeskanzlerin und AM, haben wir ein Paradebeispiel in dieser deutschen Politik. Heulen, schnäuzen und Taschentücher verschwenden. Dann ist aber auch schon das Ende der Fahnenstange erreicht. Der Rest der Welt ist doch scheißegal. Damit haben wir zwar einen Endpunkt, nur, wo stehen wir? Tamer Bakiner gibt gute, neue, Einblicke in unsere heutige Welt. Er hat den Vorteil, viel gesehen zu haben. Einen, wirklichen „alltäglichen“ Rassismus, der uns jeden Tag ins Gesicht springen möchte, ist für ihn jedoch nicht das Thema. Im Gegenteil. Nur die Konsequenzen, die gerade Unverständnis für die anderen Kulturen aufwerfen werden, umso mehr. Die Frage, die er jetzt stellt ist, wie gehen wir mit uns selbst um? – Alexander Bergmann. Ich bin fünfzig Jahre alt, habe jetzt eine Frau aus Thailand, zwanzig Jahre jünger und einen neuen Frühling. Hab auch ein neues Kind mit ihr, meine langersehnte Tochter. Während meine anderen Kinder, meine Söhne, aus erster Ehe schon fast erwachsen sind und meine deutsche Ex-Frau sich dem Suff ergibt, und ganz klar, die iss ja auch schon auf der Fünfzig-Jahre-Skala, sieht nicht mehr ganz so frisch aus und damit, sexuell und gefühlsmäßig, uninteressant. Meine jetzige Frau hat aber ein Problem. Mein neuer Schwiegervater, den ich nicht mal kennen möchte, braucht eine Operation. Was geht mich das an? Ich bin Deutscher. Opa aus Siam kann schon für sich selbst sorgen. Ich hab ja genug eigene Probleme. Da muss ich nicht auch noch den Vater meiner fernöstlichen Frau an der Backe haben. – Suna Bergmann. Ich bin eigentlich aus Thailand, aber in Deutschland aufgewachsen und jetzt auch hier verheiratet, mit einem älteren Mann und habe auch ein Kind mit ihm. Mein Vater braucht dringend eine Nierentransplantation, nur mein Mann will mich nicht finanziell unterstützen, deswegen gehe ich wieder in das Geschäft, wo ich meinen neuen Mann eigentlich kennengelernt habe, um das Geld für Papas OP zu verdienen. Nennt es Prostitution, ist es auch. Nur bleibt mir doch keine andere Wahl. Mein Kind will ich aber nicht mit einem solch gefühlskalten Menschen großziehen. Elara geht jetzt nach Thailand zu ihren Großeltern. – Sabine Bergmann. Mein Ex-Mann hat eine Neue. Nur, leider, habe ich ihr eine Flasche über den Schädel gezogen. Ich bin emotional nicht auf Höhe und… Wer kann mir schon helfen, wenn ich in Selbstmitleid versinken will, weil ich mich nicht mal mehr selbst erkennen möchte und dafür auch verachte. Mich lieber in meinem Selbstmitleid suhlen will. Was mich zu einer Mörderin machte, wenn auch nicht absichtlich. – Elara Bergmann, Anton und Paul Bergmann – Die Kinder hat keiner gefragt. Das ist, mal ganz grob dargestellt, die Situation, die Malik Martens jetzt erwartet. Der Ermittler hat schon viel hinter sich und das wird wohl auch eine neue Herausforderung sein. Besser wäre, er würde sich mal ein Auszeit gönnen. Sein Körper sendet ja schon Signale aus der psychosomatischen Front. Auch wenn man vieles ignorieren möchte… hat man unerklärliche Schmerzen, dann lebt man zwar noch, aber man sollte doch besser etwas ändern. Tamer Bakiner und Matilda Walzer haben lange recherchiert und einen True-Crime-Knaller hingelegt. Uns Augen geöffnet. Dieses Buch ist… ein Wahnsinnswerk, oder doch ein Werk des Wahnsinns? Irgendwie hatten wir uns das zwar etwas anders gedacht, aber wir lassen das jetzt so stehen.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52520-3 359 Seiten 14,99€ (D) 15,50€ (A)

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