BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

MELANIE BENJAMIN –

Die Königin des Ritz

Einen bekannten Lebenslauf nachvollziehen kann fast jeder. Ein, oder besser wie in diesem Fall, zwei Schicksale nachzuzeichnen, die zwar namhaft sind, weil man sie mit einigen Dingen identifizieren kann, aber trotzdem als nahezu unbekannt dastehen, ist doch eine größere Herausforderung. Das hat sich Melanie Benjamin auch gesagt und so widmet sie sich der Familie Auzello, Blanche und Claude. Als diese beiden Menschen sich kennenlernten, war der Gedanke an Adolf Hitler und sein tausendjähriges Reich noch weit entfernt, aber der Gedanke, das Juden nicht wirklich in die Öffentlichkeit passen könnten, gab es damals auch schon in Paris. Die Gästezahl für jüdische Mitbürger in den Hotels der französischen Metropole war eng begrenzt und auch davon abhängig, wie viel Trinkgeld in der Geldbörse stecken könnte. Ohne etwas beschönigen zu wollen, Antisemitismus ist älter als das Nazireich. Und auch nicht dessen Erfindung. Selbst Jesus Christus war da sehr skeptisch und auf den Messias begründet sich ja heute noch die Religion, die obendrein mit dem jüdischen Glauben eng verwoben ist und, weltweit, zahlenmäßig mehr Mitglieder vereint, als Indien Einwohner hat. Ob katholisch oder evangelisch, beide Richtungen begründen sich auf den Mann, dessen Kreuz die Inschrift INRI trug und noch heute der Begriff ist. Deutsch: Jesus von Nazareth, König der Juden, was dann einen Inbegriff von Ignorantentum bedeutet, den die Römer an den Tag legten, da Jesus nie ein König sein wollte. Der aber plötzlich, und auch aus anderen Gründen, wie eine Furie über Geldmacher her tobte, deren Geschäftsstände verwüstete und das waren ja meistens Juden, denen andere Geschäftszweige verwehrt geblieben waren. Die Nürnberger Rassengesetze waren nicht die erste Gesetzesgrundlage in einer Geschichtsschreibung, die Juden aller Bürger- und Menschenrechte beraubte, da gab es schon ganz andere. Dass die Nazis auf diese Grundlagen zurückgreifen konnten, wie aus einer Schreibtischschublade heraus, macht es doch noch viel gefährlicher, so zu argumentieren, das die Braun- und Schwarzhemden der Ursprung diesen Übels wären. Sie wollten es perfektionieren, haben es auch getan, nur der Hass auf jüdische Mitbürger ist doch schon viel älter, und dass sollte man, gerade im Blick auf den ehemaligen Gefreiten und seine Hitler-Partei, nicht vergessen. Alles andere wäre Augenwischerei. Und noch viel gefährlicher. Die Nazis als Gegner kennt man, die unerkannten Antisemiten rühren trotzdem weiter herum und das im Verborgenen. Aber davon merkt Blanche noch nicht viel. Sie weiß zwar, dass sie nicht wirklich erwünscht ist, wenn sie ihre Identität offenbaren würde, aber Frechheit siegt. Und Claude ist beeindruckt... verliebt sich augenblicklich. Soviel zum Thema... Kann man dann überspringen. Wie Melanie Benjamin hier den Bogen spannt, ist schon beeindruckend. Aus dem Nichts eine Handlung zaubert, wie sie hätte passieren können. Und das Ehepaar Auzello ist auch nicht das Vorzeigepaar. Es fetzt, streitet und trennt sich ständig, zumindest wenn man Frau Benjamin glauben möchte und hier spielt die Herkunft überhaupt keine Rolle, es sei denn man nimmt es als gegeben, das sich Claude, als französischer Charmeur, zu einem Liebhaber aller Frauen aufschwingen möchte und Blanche aber nicht das kleine Hüterchen hinterm Ofen darstellen will, das demütig auf den Hausherren wartet. Als die Nazis 1940 in Paris einmarschieren, hat sich dieser Zustand als normal eingepegelt. Das Ehepaar wohnt jetzt im Hotel Ritz, wo Claude auch arbeitet, nachdem er im Sitzkrieg seinen Dienst beim Militär abgeleistet hatte, bevor Heinz Guderian und Manfred Rommel diesen für beendet erklärten, in dem sie die Tatsache schufen, plötzlich in Paris zu stehen und das mit einer erklecklichen Menge Wehrmacht. Die Boche machen sich in der französischen Hauptstadt breit und Adolf Hitler wird zum größten Feldherrn aller Zeiten ernannt. In Vichy macht sich die Kollaborationsregierung bereit, trotz aller Aufrufe eines Charles de Gaulle, sich mit den Besatzern zusammen zu tun. Das ist Öl auf den Feuern des französischen Widerstandes, von dem auch Claude und Blanche sich mitreißen lassen, jedoch mit der Tatsache, das keiner von beiden von den Aktivitäten des anderen weiß. Was dem Ehekrieg weiteren Vorschub leistet. Die Boche, die keine Ahnung haben von den Hintergründen, schauen den, halb öffentlich, ausgetragenen Händeln recht amüsiert zu. Während Claude den Buckel macht und absolut im Untergrund agiert, ist Blanche mehr in der Szene unterwegs, wo man zwar den Nazis gerne zulächelt, aber ihnen ganz schnell den Dolch an die Kehle setzt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Melanie Benjamin hat aus dem Nichts eine Geschichte erschaffen, wie sie hätte stattfinden können und zeigt eine Art Studie über Paris unter dem Hakenkreuz. Einschließlich aller Seiten. Das dieses Buch trotzdem, oder genau deswegen, eine Liebeserklärung an die Stadt der Lichter ist, dürfte wohl eher weniger eine Rolle spielen, hier sich zu einem Richter aufzuschwingen, sondern doch mehr die Tatsache zu akzeptieren, das Geschichte nun mal stattgefunden hat. Eine Fakt stellt sich jedoch zur Diskussion, die eigentlich sinnlos sein sollte... Woran erkennt man Semiten? Steht auf Seite 298 in dieser Buchausgabe. Die Frage, die man sich eher stellen sollte, ist, woran erkenne ich einen Menschen. Frau Benjamin hat gute Arbeit geleistet und eine Leerstelle mit Inhalt gefüllt. Ob es so war? Bücher sind wie Schiffe, die einen zu ungeahnten Horizonten führen werden, wenn man dann die Segel setzen will. Musik? Panzerfaust aus Kanada haben „The Day after Trinity“ kreiert. Hammerharter Grind-Core zum Thema des ersten Atombombenversuches, den man heute gerne aus dem Gedächtnis streichen möchte, gerade weil die Folgen in Hiroshima und Nagasaki doch gravierend menschenverachtend zu sehen waren, und für die folgende Kriegführung richtungsweisend war, die jedoch von einer Demokratie ausgeführt wurde, die man heute als Freund bezeichnen will. Das lassen wir einfach mal so stehen und wir stehen dazu.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28255-7 376 Seiten 20,00€ (D) 20,60€ (A)