BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

FRL. KRISE UND FRAU FREITAG –

ermitteln – Der Altmann ist tot

Das ist doch ein Sahnestückchen. Das Erstwerk beider, sowohl Schriftstellerinnen, als auch Lehrerinnen, als Team. Realsatire, ohne Netz und andere Sicherungen. Und hier kommt so einiges rüber, da wackelt der Bauch samt Katze drauf, vor Lachen, obwohl so einige Sachen eigentlich recht traurig sind. Was, beispielweise, den Umgang mit der deutschen Sprache betrifft, die völlig verballhornt wird. Oder der Blick auf eine Berliner Schulkultur gegeben wird, die nun völlig unverständlich ist. Es ist kein Wunder, dass die Personalchefs von Berliner Unternehmen sich die Haare raufen werden, wenn sie Nachwuchs, sprich Auszubildene, für ihre Produktionen und Geschäfte suchen und dann Schulabgänger kommen, die noch nicht mal ihren eigenen Namen richtig aussprechen, geschweige denn schreiben können. Deren Kenntnisse in Grundrechenarten so unzulänglich sind, das jedes Zweifingerfaultier, spielend, als ein Archimedes oder Leonardo DaVinci durchgehen würde. Zumindest könnten die, fingertechnisch, bis Vier zählen. Unser Nachwuchs scheint es ja nicht mal bis zur Drei zu schaffen. Von allen anderen, weitergehenden Dingen, wie Allgemeinwissen, das vor ein paar Jahren ja noch vorhanden war, ist heute auch nichts mehr zu spüren. Die „Luftbrücke“, beispielweise, ist nach Ansicht heutiger Kids, ein Bauwerk und ein Geschenk der Amerikaner an Adolf Hitler und der berühmteste Grenzübergang zwischen Ost- und West-Berlin, während der Ulbricht- und Nachfolgeären, die keiner mehr genau definieren kann, hat dann „Jackpot Charlie“ geheissen. Kühe sind lilafarbend, Milch kommt aus dem Karton, Nahrungsmittel gibts im Supermarkt und sind schon vorsorglich eingeschweißt, damit sie nicht so schnell verderben können. Und noch so einige andere Dinge. Lasst Euch einfach davon überraschen, was unser heutiger Nachwuchs sonst noch auf der Tasche hat, oder besser, was ihm fehlt. Frl. Krise und Frau Freitag haben da so einige Beispiele parat, was dann Amöbengehirne, vermutlich, besser verarbeiten könnten, als unsere gehirntechnischen Totalausfälle, die wir als unseren Nachwuchs bezeichnen wollen. Und, nebenbei, haben sie noch einen toten Kollegen am Hals. Günther Altmann, Mathelehrer, wird an der Spree, unweit des Reichstages aufgefunden. Jetzt steht er vor seinem Schöpfer, aber das gehört ja nicht in diese Welt. Spirituelle Gedanken pflegen beide Pädagoginnen nicht. Die Polizei geht erstmal von einem Unfall aus, aber... da sind so einige Überlegungen. Ein Fall, der die deutsche und Berliner Justiz erschütterte, war die Ermordung von Hatun Sürücü. Ein qualvoller Schandfleck in einer Gesellschaft, die zwar demokratisch sich schimpft, aber nicht in der Lage ist, Integration zu verwirklichen. Und die Liste solcher „Ehren“morde ist schon länger, als die längste Berliner Straße und die, der Opfer der Berliner Mauer, auf der man heute, demokratisch gewollt natürlich, politisch herumkaut, auch. Warum? Antworten können beide Schriftstellerinnen auch nicht geben, aber Fragen stellen. Was Altmann auf der Kerbe hatte, sollte jetzt erst mal keine Rolle spielen, da könnte man so einige Theorien entwickeln, aber das ist nur Wunschdenken. Das passt weder vorne noch hinten. So sind Frl. Krise und Frau Freitag, neben ihrem Schulalltag zwischen Problemschülern und denen, die es mal waren, und klar, die es noch sind, erstmal straff eingebunden, ihren eigenen Theorien nachzugehen. Und das gestaltet sich, zumindest für den Leser, als recht amüsant, obwohl immer die Träne im Auge hängen wird, wie dämlich sich unsere Zukunft gestalten soll. Wenn Pädagogen sich schon auf den Weg des Bücherschreibens begeben, um dem Berliner Senat seine Unzulänglichkeit aufzuzeigen, weil der seine Schulpolitik einfach nicht in den Griff bekommt und jeder Möchtegernpolitiker heute irgendwelche Scheiße labert, ohne einem Kernproblem zu Leibe rücken zu wollen, sich einfach als inkompetent erweist und trotzdem noch den großen Macker heraushängen lassen will und an seinem Stuhl klebt, wie eine Schmeißfliege am Schweiße jedes arbeitenden Menschen, dann ist der Einsatz von zwei engagierten Frauen gefragt, die jetzt mal richtig aufmerksam machen wollen. Nicht jeder, der aus einem anderen Land kommt, ist auch integrationsunfähig. Nee, Onkel Ali, der Kaffeeausschenker für beide Lehrerinnen nach Feierabend, und auch das Rauchverbot ignorierend für seine beiden Stammgästinnen, spricht den Berliner Dialekt fast besser als jeder Einheimische, sehr zum Leidwesen seiner Frau Emine. Aber das ist kein Problem. Onkel Ali entpuppt sich als ein Teil, was wir auf der Straße erleben, und zwar in Form von Nachbarschaft. Den Mann liebt man doch, vom ersten Augenblick an. Das ist doch das, was auch wir wollen. Wir sind nicht durch Nationalitäten getrennt, sondern, durch unseren Umgang miteinander verbunden. Etwas, was unsere Politiker nicht verstehen können oder wollen? Als Mensch hat man hier keine Probleme. Warum man hier parteipolitisch und auch integrativ Grenzen setzen möchte, ist für den normalen Menschenverstand nicht verständlich. Warum man hier nicht eine Brechstange ansetzt, die zum Wohle aller dienen könnte, ist genauso ein Traum im Nirvana, wie das Thema, das sich alle Menschen gut verstehen könnten. Frl. Krise und Frau Freitag haben kein Problem damit, obwohl sie schon so einige Probleme gesehen haben, aber Onkel Ali ist nun mal ein Bestandteil ihres Lebens und der hat die Berliner Zunge besser drauf, als so manch anderer. Und ein guter Nachbar, der sich dann in irgendwelche dubiosen Ermittlungen einarbeiten lässt, ist er auch noch. Na, wenn man hier von Integrationsschwierigkeiten reden möchte, dann ist man doch völlig auf dem Holzweg, wie so oft in Berlin. Wo das Intergrationsproblem doch eigentlich keines mehr sein sollte, sondern nur politisch hochbrisant stilisiert wird, weil man keinen Weg in die Familien finden möchte, oder auch kann, weil das auf der anderen Seite auch nicht gewollt ist. Der Altmann ist tot. Nur die Fragen, die Frl. Krise und Frau Freitag jetzt stellen, haben nicht nur damit zu tun, sondern werden einen Alltag aufrütteln, der nicht nur in Berlin an der Tagesordnung stehen sollte.
(Rowohlt)

ISBN 978-3-499-26720-8 303 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)

FRL. KRISE UND FRAU FREITAG - Übertrieben tot - Archiv Juni 2017