BUCHCOVERREZENSION
Tutii EiskalteHoelle

PAOLO COGNETTI –

Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen

Wer Reisebeschreibungen mag, und das hier ist ja schon Streich Nr. Drei von Paolo, kann sich diese Wundertüte natürlich in den Korb legen. Wer das nicht mag, lässt halt die Finger davon. Wir wollen ja keinem zu Munde reden. Es sind Eindrücke von einer Reise, die in Nepal beginnt und auf weitläufigere Höhen führt, als die Alpen zu bieten haben. Für, als Europäer getarnte, Reisende könnten, werden sich hier Grenzen auftun. Für Paolo ist das eine Begegnung mit einem sehr persönlichen Dämon. Ab dreitausend Meter ist bei ihm sehr viel Überzeugung von Nöten, weiter zu marschieren. Gut, dass die Nepalesen, die ihn begleitet haben, soviel Geduld mit ihm hatten. Und ihn auch lebend wieder zurückgebracht haben. Bei diesen Menschen ist der Umgang mit der Natur ihres Landes ja auch ein Kinderspiel, sie sind ja in diesen Höhen aufgewachsen und haben damit kein Problem damit, in diesen luftarmen Regionen herum zu turnen, wo wir richtig Atemnot bekommen würden. Könnte an den Aprikosen liegen, die dort wachsen. Warum dann einer über seine Grenzen hinausgehen will, werden nur Leute verstehen, die das, dieses, Abenteuer mögen. Von Nachahmungen ist abzuraten. In jedem Fall, wenn man gesundheitlich nicht auf der Höhe ist. Wer den Bierdosenkauf im nächsten Supermarkt schon als ein Abenteuer ansieht, oder den Toilettenbesuch, sollte das durchziehen, vor allem dann auch, weil die Katze sich wieder auf dem Bauch des Lesers einrollt und mit wohligem Schnurren sagt, Alter, dann bleib man lieber zu Hause. Man muss die Gipfel nicht selbst besteigen. Besagt ja der Titel eindeutig. Mitunter sollte man auch mehr auf seine Katze hören. Dann hat man mehr von dem, was andere Leute schreiben wollen. Paolos Notizbuch einer Reise durch die Vorläufer des Himalayas ist recht informativ, wenn man das von seinem Lesesessel aus verfolgt. Wer das nachmachen will, bitte, keiner wird jemanden davon abhalten, das nachzuvollziehen, aber denkt bitte dran, wie Ihr drauf seid. Das sind doch ganz andere Bedingungen. Auch wenn der Autor irgendwie anders drauf ist. Und seine Mitarbeiter mehr damit zu tun haben, ihm das Kotzen zu erleichtern, weil er mit der dünnen Luft nicht wirklich klarkommt. Paolo scheint zu den ganz Harten zu gehören. Nur, wer braucht das? Er weiß ganz genau, dass er über der Dreitausendender Marke ganz schlechte Karten hat, aber er zieht trotzdem über die Linie, merkt, dass sein Körper ihm sagt, nicht wirklich weiter. Aber geht weiter. Wer macht so was? Wofür? Wären die Nepalesen nicht gewesen, die ihn wieder runtergetragen haben, dann wäre er jetzt, wahrscheinlich, tot. Dann hätte Penguin sein Buch nicht veröffentlichen können. So leichte Ähnlichkeiten mit einer Notizkladde aus einem Film „Tomb Raider“ hat sein Buch aber schon. Skizzen aus einem Leben, die im wahren Distanzbereich, auch Größe annehmen könnten. Nur, dann sollte man das wirklich auch selbst in Augenschein nehmen und da könnte jemanden, wie uns, Normaleuropäern, die schon beim Ersteigen des Berliner Teufelsberges in Hyperventilation verfallen, ganz enge Grenzen gesetzt sein. Manchmal weiß man auch nicht wirklich, was Paolo da gerade darstellen will. Ist etwas kompliziert. Bei ihm. Die Nepalesen haben ihn gerade aus der Gefahrenzone gebracht. Jetzt atmet er wieder. Eigentlich ist er auf den Spuren von Peter Matthiessen und dessen „Schneeleoparden“, was eine faszinierende Lektüre war, ohne Zweifel. Nur, was will Paolo jetzt beweisen? Das Wilhelm Buschs Frosch, auf moderne Art, doch aktueller ist? Eine brandfröhliche Frage stellt er aber schon in den Raum. Den Gipfel des Kailash, des heiligen Berges, kann man nur sehen, wenn man den Kristallberg ersteigt. So die Sage. Und? Da, aber, darf niemand rauf. Schon seit Menschengedenken nicht. Nicht einmal Buddha, Siddhartha Gautama, durfte das. Wer, also bitte, hat den Kailash aus dieser Perspektive gesehen? Sagt jetzt nicht Nordkorea, der Dalai Lama oder ähnliche Sachen. Auch wenn Nordkorea sich darauf beziehen will, seine unsterbliche, und erbliche, Dynastie aufgrund seines ersten Diktators, dessen Geburt auf dem heiligen Berg stattgefunden haben soll, dürfte diese Diskussion doch recht fadenscheinig sein. A, der Brause-Paul hatte diesen Berg noch nie von Nahem gesehen. Weder als Neugeborener, noch als ein Mensch einen anderen Alters und B, dann hätte der auf gegensätzlichen Seite der Perspektive gestanden. Die einzigen, die daran glauben wollen, sind die Nordkoreaner. Aber die sind es ja, politisch gesehen, gewohnt, relativ allein auf dem Spielplatz der Welt zu stehen und zum Wippen keine zweite Person zu haben. Hundertprozentig war auch noch kein Dalai-Lama da und die anderen Sachen können wir auch ausschließen. Wer hat den Kailash gesehen? Paolo kommt zwar recht informativ rüber in manchen Sachen, nur hier nicht wirklich, sollte man ihm aber nachsehen. Wenn man Fragen stellt und man nur mit Phrasen abgespeist wird, könnte man schon etwas resignieren. Und dann mit „Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen“ ein Buch schreiben. Hier ist ein kleines Ziel für uns. Solange, wie die Katze auf dem Bauch liegt, das Dosenbier in handlicher Reichweite ist und auch sonstige erquicklich anzustrebende Ziele sich einem erstrecken werden, sollte man besser nicht darüber nachdenken, was andere Leute machen wollen. Paolo? Geben wir ihm einfach die Bühne, wenn er sich dabei besser fühlt, warum nicht. Zumindest hat er jetzt mehr gesehen, als wir, und das kann schon eine ganze Menge ausmachen.
(Penguin)

ISBN 978-3-328 –60108 –1 121 Seiten 15,00€ (D) 15,50€ (A)