BUCHCOVERREZENSION
Johannsonl Sanddorninsel

LENA JOHANNSON –

Sanddorninsel

Lena Johannson etabliert sich als ein Mensch, der mehr sehen will. Sie hat schon so manche andere Zeile kreiert und auch begeistern können, aber der Sanddorn hat es ihr doch besonders angetan. In den letzten beiden Büchern war es ihr eine Ehre, ihre Romanfiguren mal kräftig schuppern zu lassen. Man ist ja die Herrin des Kugelschreibers oder, zeitgenössischer, der Tastatur. Warum soll man also, wenn man das schon schreiben tut, dies auch selber machen. Dafür sind ja die Knechte, pardon, die Romanfiguren da, den Leser am Fluss zu halten. Emily Dickinson sagte mal, „Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder, als ein Buch.“ Lena Johannson sorgt dafür, dass diese Frau auch Recht behält. Rügen ist zwar nicht ganz so fern, und, als lebende Reklame für die Königin der Ostseeinseln sorgt sie auch dafür, dass sie ganz nahe ist, aber jetzt gibt es, zusätzlich, immer wieder kleine Abstecher nach Kuba. Wenn das kein Urlaub ist. In fernen Ländern. Ein Buch voller überraschender Wendungen. Ihre Hauptdarsteller der letzten, ziehen sich jetzt in das zweite Glied zurück. Klar, man hat ja auch ein Familienleben. Wenn man gerade Kinder das Licht der Welt hat erblicken lassen, sollte man das nicht wirklich vor dem Leser ausbreiten. Der würde sich nur in Erziehungsmaßnahmen einmischen wollen. Das hat man der Schriftstellerin, unter harten Kämpfen, abringen können. Na gut, als Schriftführer hat man ja doch mehrere Optionen. Dann kommen neue. Vier Frauen, vier Generationen. Ursula, Heike, Rahel und Emily. Wie die Orgelpfeifen abgestuft, von Uroma bis Urenkelin, oder auch drei Mütter und drei Töchter. Und trotzdem nur vier Menschen. Ur-Usch steht kurz vor ihrem achtzigsten Geburtstag und den will sie mit ihrer Familie begehen. Und nebenbei auch noch einige Dinge recherchieren, aber das muss der Rest der Rasselbande ja noch nicht wissen. Heike, die nachfolgende Generation kämpft mit ihrem, fast nicht vorhandenen, Selbstwertgefühl. Lieber stopft sie sich, sagen wir mal geschmacksneutralen, Frischkornbrei in die Figur. So kann man Essen natürlich auch bezeichnen. Nur werden das nicht alle so verzehren wollen. Es sollte, wenn man schon gesundes Futter vernaschen will, auch vegetarische und vegane Speisen mit Geschmack geben. Weil nicht nur das Auge mit isst, sondern auch die Zunge daran beteiligt ist und, dabei, in ständiger Konferenz mit den Augen und der Nase steht. Wenn es um Nahrungsaufnahmen geht, kennt unsere Natur nur einen, den wir rauslassen könnten, das Ohr. Ist an Heike aber ein bisschen vorbeigegangen. Rahel, H.s Tochter, hat etwas zu viel Selbstbewusstsein, nur kriegt sie das nicht in die Spur. Und Emily, als die jüngste im Kleeblatt, hat ein Problem, das ihre Mutter nicht wirklich viel Zeit für sie hat. Im Gegenteil, Ur-Uschs Achtzigsten-Geburtstagsurlaub auch noch mit Geldgeschäften verbinden will. Emily war immer ein Oma und Ur-Usch Kind. Probleme ohne Ende. Das Franziska und Nik, mit ihren Frischlingen im Schlepptau, nicht wirklich damit Zeit verbringen wollen oder werden, sollte doch einigermaßen verständlich sein. Ist ein Kompromiss, wie das viele Leute machen, wenn ihr Schriftsteller auf der Matte steht und pochen will. Ziska gibt zwar ein Coaching, zeitlich begrenzt, und tritt dann doch wieder in den Hintergrund, während sich Nik so rar macht, wie Palatinum oder Dodo-Vögel, fast nicht vorhanden. Den Rest muss die Frauengang schon allein bewältigen. Könnte man auch als ein Generationsproblem bezeichnen? Frau Johannson schreibt fröhlich vor sich hin. Was sie in ihrem Kaffee hat, wollen wir nicht wirklich wissen. Oder doch? Zumindest hat sie in der Arbeitsvorbereitung, sorgsam unterstützt von Neu-Mutter Franziska, mal einige Weichen gestellt. Komisch kommt einem das nur vor, wenn die Züge plötzlich auf anderen Gleisen landen, als man sich das gedacht hat. Als Schriftmaxe sollte man sich dann schon mal fragen, warum sich seine Figuren verselbstständigen wollen. Lena Johannson hat wieder ein lebendiges Buch geschrieben. Eins, das nicht nur gelesen werden will, sondern auch mitlesen möchte. Kein Problem, die Katze will das auch. Alexandre Dumas hatte vier Musketiere und den Grafen von Monte Christo, und damit zwei Romane geschrieben, mit denen er die Welt eroberte. Frau Johannson hat ein paar Musketiere mehr an der Hand, auch wenn die nicht so aussehen, in einem „Mantel und Degen Film“ mitzuspielen. Aber sie hat ihren dritten Tortreffer, was den Sanddorn und Rügen angeht. Jetzt bekommt sie jedoch ein Problem. Ihre Darsteller werden, beim nächsten Mal, mehr Gage verlangen wollen.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-52381-0 331 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)

LENA JOHANNSON – Sanddornsommer – Archiv August 2017
LENA JOHANNSON – Sanddornvilla – Archiv Oktober 2018