BUCHCOVERREZENSION
Mells Marienfelde

CORINNA MELL –

Marienfelde

1952 in Berlin. Corinna Mell lässt zwei Welten aufeinanderprallen. Die beiden, neu gegründeten, deutschen Staaten sind noch jung und der II. Weltkrieg ist gerade mal sieben Jahre her. Im den westlichen Besatzungszonen, was sich jetzt BRD nennt, tobt das neue Leben, dank des Marshall-Plans der US-Regierung. Im Osten, der DDR, knufft man vor sich hin, um die Ziele einer sozialistischen Planwirtschaft zu erreichen. Trotz der drückenden Reparationen, durch die russischen Besatzer, die jetzt ihre Verluste (zwanzig Millionen tote Menschen durch das Naziregime - und, hier brauchen wir kein Blatt vor den Mund nehmen, Stalin hat seinen Teil dazu beigetragen!) in schwarze Zahlen ummünzen wollen. Sie, die Menschen in Deutschland, der Sowjetunion und im restlichen Europa, die, die Lasten dieses Krieges getragen hatten, wurden nicht einmal gefragt. Hat man das vergessen? Der Kampf ist ausgebrochen, pro-imperialistisch oder –kommunistisch? Der „Kalte Krieg“ ist in vollem Gange. Der begann schon, noch bevor Generaloberst Alfred Jodl und Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, und noch so einige andere, mit ihren Unterschriften bekanntgaben, dass sich eine bedingungslose Kapitulation aller Kampfverbände manifestierte, die dem Deutschen Reich dienten. In Korea tobt jetzt der erste große militärische Stellvertreterkrieg der Nachkriegsgeschichte, wo man alle Absprachen ad absurdum führte, die nach der Niederlage der Achsenmächte eigentlich greifen sollten. Auf die Menschen, zu deren Lasten das immer gegangen ist, hat die Politik noch nie Rücksicht genommen. Lieber lügt man allen Menschen den Buckel voll, und sät Vorurteile. Eigentlich ist doch scheißegal, wer uns opfern will. Hauptsache, wir sterben für andere. „Höhere“ Ziele, uns eingeredet von ganz freundlichen Zeitgenossen und deren heroische Ansichten, die sie selbst aber das nicht ausleben dürfen, weil sie sich ja dafür aufheben müssen, Neurekrutierungen durchzuführen, sind ganz groß im Kurs. Geh in ein anderes Land, erschieß wehrlose Menschen, vorzugsweise Mutter mit Kind, weil, damit unterbricht man den Fortpflanzungszyklus, dann bekommst Du auch einen Orden. In den USA, dem „vertrauenswürdigem“ Freund und Verbündeten unserer heutigen Demokratien ist das ja gang und gäbe. Die Liste, wo „unsere Freunde“ sich ausgetobt haben, ist länger als der Nil. Nur, wo sollte hier ein Sinn sein? Corinna Mell könnte Maggie Stiefvater gelesen haben und ein Wunder suchen. Sie macht einen Ausfallschritt sonders gleichen. Und Sonja, sechzehn Jahre, steht mitten drin. Oma hätte so viel haben können. Aber Oma hat sich anders entschieden. Wie Sonjas Vater das treffend ausgedrückt hat, wer glücklich ist, braucht keinen Luxus. Erzähl das mal einem Menschen mit einer Katze. Der ist glücklich, wenn sich sein Pelztier auf seinem Schoß breit macht und auch Stunden später, selbst wenn der Hintern weh tut, nimmt man lieber die Schmerzen in Kauf, als das zeitlose Verweilen seines Hausgenossen zu unterbrechen. Andreas Föhr kann das bestätigen, auch wenn seine Katze, wahrscheinlich, von einem anderen Planeten kommt. Der Katzenhalter braucht dann nur ein neues Buch und ein neues Bier, naja eine Positionsveränderung, damit die Backen etwas Entlastung bekommen, wäre auch nicht verkehrt. Einen riesigen Fernseher a´la Hartz-IV-TV braucht es jedenfalls nicht. Corinna erwähnt zwar Korea nicht, aber einen Schicksalstag in der deutschen Geschichte, der als der Arbeiteraufstand in der DDR eingehen wird. Dass gerade dieser Krieg im Ganz Fernen Osten seine Schatten auf Europa geworfen hatte, wird heute gerne verschwiegen. Demokratiegeheimnis? Ohne den Koreakrieg hätten die Amis viel Platz verloren und die Russen hätten, in Europa, gerade zu der Zeit, als die Franzosen und Italiener sich dem Kommunismus zuwenden wollten, viel Einfluss gewonnen. Die westlichen Alliierten, Frankreich zuerst zurückhaltend, später jedoch mit Halle Julia, haben dann sogar das faschistische Franco-Regime, in Spanien, akzeptiert. Dass, als Nazi-Partner vor und im II. Weltkrieg, und auch danach, unvergleichliche Verbrechen zugelassen und auch selbst zu verschulden hatte. Willkommen in der Welt der Demokratie. Spanien, als ein, selbst nach dem II. Weltkrieg, noch funktionierender faschistischer Staat, war, plötzlich, im Kampf gegen den Kommunismus nur zu willkommen. „Persilscheine“, die im gesamten Deutschland nationalsozialsozialistischen Mittätern den Freispruch garantierten, waren plötzlich Massenware. Dass Corinna Mell sich an dieses Thema überhaupt heran gewagt hat, ist aber schon genial, weil das, auch heute, noch ein ganz heißes Eisen ist. Und die Wahrheit immer zwischen den Welten liegt. Unsere Demokratien und Diktaturen lügen uns die Hucke voll, und die „deutsche“ Geschichte ist nur eine von vielen „Wahrheiten“? Corinna Mell hat zwar mehr die Schicksale einer deutsch-deutschen Trennung im Visier, die es gab. Ohne Frage. Aber, da war der „Kalte Krieg“, der diese Menschen trennte. Wo sind die Politiker, die das zugelassen haben. Wo ist der Punkt der Menschlichkeit geblieben? Wo sind wir? Vorschnelle Urteile sind doch gerne gefällt. Der Osten ist scheiße und deswegen fliehen viele Menschen. Der Westen hat nur goldene Seiten? Bestimmt nicht! Nur, stellt sich, nicht nur heute die Frage, wo wären wir, wenn wir damals viele Dinge gewusst hätten, die verschleiert wurden. Auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“, und schon weit vorher, eigentlich seit Menschengedenken, wurde gemauschelt und wir, die Menschen, um die es wirklich geht, werden, bis heute noch, in einem Unglauben gelassen, der einfach nur sträflich ist. Wenn wir endlich einmal begreifen würden, dass wir nur der Spielball einer menschenverachtenden Politik sind, dann wäre der Nationalsozialismus, beispielsweise, nie an die Macht gekommen. Corinna Mell hat hier ein couragiertes, und lesenswertes, Buch vorgelegt, Schicksale gezeigt, die tragisch sind in der deutschen Geschichte. Auch wenn sie das dann nicht wirklich konsequent zu Ende führt. Die Mauer von Ulbricht ist schon länger weg, als sie stand. Aber die Schicksale heute zeigen doch nur zu deutlich den politischen Betrug an den Menschen, um die es geht. Um uns. Nach dreißig Jahren Mauerfall sind Ost und West immer noch weiter voneinander entfernt, als die Milchstraße und die Andromeda-Galaxis. Astronomen rechnen damit, dass beide Galaxien aufeinandertreffen, in etwa vier Milliarden Jahren. Das wird wohl eher sein, als das man eine deutsche Einheit hinbekommt, die man als eine solche auch bezeichnen könnte. Leute, denkt nach. Corinna Mell hat hier einen Grundstein gelegt, zum Nachdenken, nachdem man ihr Buch dann eingeatmet hat.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-30641-3 Seiten 9,99€ (D) 10,30€ (A)

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