BUCHCOVERREZENSION
McDermid.v DerSinnDesTodes

VAL McDERMID –

Der Sinn des Todes

Frau McDermid ist, unbestritten, eine der weltbesten Autor-Innen, deren Zeilen man sich, zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn auch nicht wirklich nebenwirkungsfrei, so doch als Labsal eines Lesers, einverleiben kann. Für Fragen zu Nebenwirkungen könnte man einen Arzt oder Apotheker konsultieren, ob die jedoch plausible Antworten in petto haben, darf stark bezweifelt werden, da, garantiert ein oder auch mehrere Bücher der Queen of Crime unter dem Schreib- oder Ladentisch liegen werden. Oder, wahrscheinlicher sogar, obendrauf. Da dies ihr dreißigster Roman ist, könnten diese Bücherstapel auch enorme Höhen annehmen. Detective Chief Inspector, kurz DCI, Karen Pirie, von der Abteilung zur Aufklärung von Altfällen, der Historic Cases Unit der schottischen Polizei, hat Probleme und die haben es in sich. Sie hat ihren Lebenspartner und Kollegen verloren, Phil, der in der Abteilung arbeitete, die, eigentlich, Tötungsdelikte verhindern sollte, oder zumindest eingrenzend daran arbeitete. Ihre Sichtweise auf diese Welt ist jetzt stark beeinflusst und, dementsprechend, un-kollektiv. Niederträchtig kann man nicht wirklich sagen und auch sarkastisch wäre hier auch der falsche Ausdruck. Sie ist etwas neben der Rolle, verständlich. Ihren Kollegen, Jason Murray, nennt sie Minzdrops, dem bei ihm vermuteten IQ geschuldet, wobei sie den Bonbons noch mehr Intelligenz zugesteht, als ihrem Mitarbeiter. Ein Punkt, dem er jedoch nicht wirklich gerecht wird. Er kann mehr, auch wenn das ein eher schleichender Prozess ist. Dem DCI Pirie, derzeit, nicht wirklich folgen möchte und nur mit Widerwillen anerkennen muss. Ihrem Vorgesetzten, der sie am liebsten in weiter Ferne sehen würde wollen, hat sie den Spitznamen Makrone gegeben. Die Welt der Verbrecher wird das, eher unwahrscheinlich dankend, gebührend zur Kenntnis nehmen. DCI Karen Pirie ist aus der Bahn und auf einem Weg einer Wieder-Selbstfindung, der doch sehr erstaunlich ist. Auch wenn Crime-Queen Val McDermid eher kompromisslos ist, Minzdrops entpuppt sich als ein Mitarbeiter, mit dem man rechnen sollte. Seine kleinen Gedanken laufen zwar etwas langsamer, aber, wenn der Hase am Ziel ist, dann stellt er die Frage, wo der Igel geblieben ist. Hundertprozent-Wette. Wenn Val McDermid den nächsten Roman schreiben wird, gibt es nur zwei Optionen. Entweder wird Minzdrops vollwertiger Partner, auch wenn sein Denken nur geringfügig langsamer ist, als die Erdkrustenverschiebung, oder er wird im nächsten Roman sterben. Aber erst mal hat Karen einen Altfall am Hals, der durch einen Autodiebstahl, mit anschließender Rush-Tour und dem daraus folgenden Unfall wieder aktuell wird. Von den vier jugendlichen Vollidioten sterben drei sofort, der vierte dürfte sich das, wahrscheinlich, wünschen, wenn er aus dem Koma erwacht. Bei der obligatorischen Blutprobe wird ein DNA-Treffer gelandet, in einem Fall, der vor zwanzig Jahren die Polizei in Atem hielt. Vergewaltigung und Mord an einer jungen Frau. Der junge Komapatient kann jedoch als Täter ausgeschlossen werden, er wurde erst später geboren. Aber man kann davon ausgehen, dass ein naher Verwandter von ihm diese Tat auf dem Kerbholz hat. Nur gehen die ersten Wege in die Wüste, da Mutter und Vater Garvie den kleinen Scheißer adoptiert und auch kein daran Interesse haben, den leiblichen Eltern, oder deren Verwandtschaft, ein Galadiner zu spendieren. Im Zuge der Offenlegung der Adoptionspapiere macht Karen eine neue Odyssee durch, einschließlich aller Sirenen, der Rachsucht der Zyklopen und der Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Und, nebenbei, wurde ein Mensch tot aufgefunden, bei dem man die Todesursache, Mord oder Suizid, anscheinend gerne durch ein Würfelspiel entscheiden möchte. Frau McDermid hat so farbenfrohe Vergleiche, einiger unserer Mitmenschen betreffend, da braucht man alle Sinnesorgane in einem funktionstüchtigen Zustand, um das auch so aufnehmen zu können. Mit jeder Seite kommt etwas Neues. Sie hat eine Informationsdichte, wie man sich es wünschen würde, von den Öffentlich-Rechtlichen, oder auch von der Tagespresse, mal präsentiert zu bekommen. Aber da sucht man ja vergeblich. Die haben ja solche Probleme, wie man Boris Becker überhaupt einen IQ zuschreiben zu könnte, der jenseits jeder Straßenlaterne ganz unten ist. Der Leser solcher Gazetten soll sich ja dem Glauben hingeben, das unser „Bobchen“, so dämlich, wie er ist, ein Gewinner in unserer Gesellschaft sein soll. Val McDermid gibt sich wenigstens Mühe. Im Vergleich zu „Bobbele“ würde Minzdrops als eine Intelligenzbestie durchgehen. Er kann Hase und Igel unterscheiden. DCI Karen Pirie wird sich an ihn gewöhnen müssen. Oder, nach einem Gespräch unter Frauen, mit Val McDermid, schon mal angedeutet, wird Jason Murray entweder zum Arbeitsamt gehen müssen oder auf dem Friedhof landen. Wäre schade. Auch wenn er langsamer denkt, als die Kontinente sich bewegen, hat er doch einen guten Biss und ein gewisses Selbstvertrauen, dass nur Menschen haben können, bei denen eigentlich alles schief geht. Was sie aber wenig tangiert und unter, da war doch was, ablegen und dann einfach weitermachen, im Leben.
(Droemer)

ISBN 978-3-426-28182-6 485 Seiten 22,99€ (D) 23,70€ (A)

VAL MCDERMID – Der Verrat – Archiv Feb. 2017