BUCHCOVERREZENSION
Liu.k SchwerterVonDara

KEN LIU –

Seidenkrieger - Die Schwerter von Dara

Ken Liu sollte man sich merken. Auf seinen Merkzettel schreiben. Das ist die erste, und auch einzig wahre, Schlussfolgerung. Erst lässt er seine Welt in napoleonischer Manier unter einem Alleinherrschafter versklaven, wo man, vorher eine andere Geschichte geschrieben hatte. Die jedem Menschen seinen Platz zuwies und in einer Gesellschaft, die zwar nicht wirklich gerecht, aber, wo man zumindest tolerant zufrieden war, aber jeder Bauer wusste, an wen er seine Steuern zu zahlen hatte und jeder, der auf der Gesellschaftsleiter seinen Platz kennt und nicht dagegen aufbegehrt, sein Knie beugt, vor einer Gestalt, die noch strahlender ist, als man selbst . Na toll. Ken Liu vergleicht seine Welt mit einem Baum. An der Wurzel stark, verästelt sich das dann nach oben. Und steht. Jedes kleine Blatt zieht seine Nahrung aus der Wurzel. Ken Liu ist auf den Wegen solcher Philosophen, wie Konfuzius, Lao-Tse und Siddhattha Gotama unterwegs, nur um, kurz danach, den totalen Zusammenbruch zu zelebrieren. Die Welt von Dara hat nur noch einen Herrscher und der ist nicht gerade handzahm. Die Gesetze sind einfach und nur extrem brutal. Todesstrafen bis in die fünfte Generation einer Familie, selbst bei geringen Verfehlungen, sollen dem Kaiser absolute Loyalität sichern, Abweichlern unmissverständlich klargemacht werden, dass sie keine Chance haben, ihre Meinung zu vertreten. Das kann zu einigen Missverständnissen in der eigenen Wahrnehmung führen. Wenn Urgroßvater denn Missfallen erregt hat, dem Kaiser nicht mehr genehm ist, aus welchen Gründen auch immer, soll auch der Enkel von Opa sterben, der noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hat? Oder anders, wenn Opa den erlauchten Herrn der Welt irgendwie geärgert hat, haben seine Enkel nicht einmal die Chance an Opas Urenkel zu denken, weil sie schon vorher massakriert werden, für etwas, was sie nicht mal ansatzweise gedacht hätten? Viel schlimmer noch, wenn sich die heutige Generation beschwert, wird der Nachwuchs, der noch in Kindergartengedanken steckt und im Sandkasten buddelt, schon im Vorfeld vernichtet? Das ist doch keine lebenswerte Gesellschaft. Der Kaiser hat hochfliegende Pläne und braucht Fronarbeiter, die nicht nur zwangsrekrutiert, sondern auch schon, aufgrund seiner Gesetze, nicht einmal haben leben können und nun massenweise verschleppt werden? In ihren Landstrichen fehlen, die wirtschaftliche Grundlage zu sichern. Das ist etwas Paradox. Bei den Opfern die Ken Liu beschreibt, wundert man sich, dass noch Rebellen übrig sind, die zum Kampf für Gerechtigkeit blasen wollen. Ganze Armeen bilden können, die ameisengleich über die kaiserlichen Truppen von Xana herfallen, jetzt allerorts zurückwerfen und ihre alte, neue Ordnung ausrufen. Der alte Kaiser Mapidéré stirbt, Intrigen erschüttern sein Reich, Opfer gibt es vom Fließband. Und Ken Liu dünnt die menschliche Bevölkerung, auf seinen Inseln, richtig aus. Ein begeisterter Leser von Sabine Ebert muss er, in jeden Fall, schon mal gewesen sein. Der Krieg war für niemanden gut, außer für die Verantwortlichen. Während Sabine sich jedoch auf historische Tatsachen stützt, und die sind ja schon prekär genug, gibt sich Ken Liu die Ehre, das in Fantasy-Art, genau das noch einmal in die Höhe zu treiben. Da heißt es Staunen, nicht wundern, was der Mensch so alles kann, wenn man ihn losgelassen hat. Die Rebellen bekommen die Oberhand, nur, wird die Welt jetzt gerechter? Werden die ehemaligen Sklaven soweit schauen, dass sich das Schicksal des einfachen Volkes verbessert? Herr Liu verneint das vehement und ein Großteil seiner Helden mutiert zu dem, was man vorher bekämpfen wollte, oder wird noch schlimmer. Wo vorher Kameradschaft stand und Solidarität, weicht alles jetzt dem Verrat, gegenseitigem Misstrauen. Wer die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat, solidarisch und menschlich bleiben möchte, wird gnadenlos getötet. Dass man seine eigene Stellung damit extrem schwächt, interessiert keinen wirklich. Alle denken nur noch in kleinen Grenzen, die sich um den eigenen Dunstkreis beschränken, obwohl man früher hochfliegende Pläne hatte. Die Inselwelt von Dara versinkt in Finsternis und die Götter, Politiker mit ihren hochbezahlten Anwälten und Buckeladjutanten im Schlepptau, machen sich einen Jux daraus, die Menschen leiden zu sehen. Hier kommt einem der legendäre Spruch von John Lennon ins Gedächtnis, stellt Euch vor, es gibt Krieg… und keiner geht hin. Ken dreht das um und alle gehen hin. Ist schon komisch, wenn man selbst Leid und Elend erlebt hat, plötzlich eine Art Aufstieg hat und danach schlussfolgern möchte, alles ist gut für mich, die anderen interessieren mich nicht mehr. Menschen, die verbunden waren, verfeinden sich. Aus Brüdern werden Gegner, weil man seine eigene Raffsucht nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Ken Liu kann sich das jedoch nicht wirklich ansehen, wie sich seine Welt verselbstständigt und so versucht er einige Charaktere etwas anders zu gestalten. Die Seidenkrieger werden noch einmal eine Chance bekommen. Hoffentlich machen sie es dann besser, denn der Weg der vor ihnen liegt, wird nicht von Göttern oder alten Weisen gewiesen, sondern sie müssen ihn selbst finden, in sich selbst, was Ken Liu ausdrucksstark, ist ja auch seine eigene Idee, unterstreicht. Der Mann ist ein waschechter Philosoph und ein Geheimtipp obendrein. Der Verlag Knaur hat, hier wieder, ein gutes Händchen angelegt. Das nennt man Literatur, die grenzübergreifend, einfach nur lesenswert ist. Musik? „Insomnium“ aus Finnland. Der beste Export, den dieses Land zu bieten hat. Nachdem Nokia, als erstes Produkt, Gummistiefel exportierte, und sich irgendwann mit Handys beschäftigte, kann diese Band überzeugen, das man das Lesen von Ken und dem, gleichzeitigen, Genuss ihrer Musik, sich weder von Gummiprodukten, noch von elektronischen Krimskrams beeinflussen lassen muss. Man kann selbst entscheiden. Manchmal, nicht immer wirklich, aber immer öfter, wenn man den Mut dazu hat, eine Entscheidung zu treffen. Ken Liu macht genau das. Finnische Handys werden da weniger dazu beigetragen haben. Ken Liu hat eine Entscheidung getroffen, sollte man unterstützen, als Leser.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-51906-6 671 Seiten 10,99€ (D) 11,30€ (A)

SABINE EBERT – 1815 – Blutfrieden – Archiv Oktober 2017