BUCHCOVERREZENSION
Herrmann.j.m Amnesia

JUTTA MARIA HERRMANN –

Amnesia - Ich muss mich erinnern

Wenn Jutta mal einen Spaziergang macht, dann fallen ihr spontan Charaktere ein, die möchte man nicht wirklich in seinem Umfeld wissen, sondern, gezielt, im Pazifischen Ozean aussetzen, damit wenigstens die Haie etwas zum Spielen haben. Wenn noch welche da sein sollten, und nicht auch schon der menschlichen Gier zum Opfer gefallen sind. In einer humanen Gesellschaft sind solche Leute genauso fehl am Platze, wie so manche Straßenverkehrsregelung  in Berlin. In unserer, sich selbst feiernden, Demokratie sind solche Charaktere leider ein fester Bestandteil  in unserem Leben, wie Frau Herrmann farbenfroh, ausdrucksstark und auch resolut nachweist. Und bevor Jutta in die Sphären des Weltalls aufbrechen, auf Spurensuche gehen würde, um nach Tyrannen mit Weltherrschaftsansprüchen oder anderen kosmischen Desperados Ausschau zu halten, da bleibt sie lieber mit der Erde verwurzelt und buddelt eben solche Gestalten aus. Die dem Leser genau den Thriller-Kick geben sollen und werden, sowie einen Spannungsbogen erzeugen, das man schon fast das Atmen vergisst. Die Frau hat es drauf, den Notarzt, nicht nur in ihren Seiten, aus seiner wohlverdienten Pause heraus zu holen. So mancher Leser wird den wohl auch, bei der Lektüre, im realen Leben benötigen. Der Grund dafür ist, dass Frau Herrmann nicht die Invasion des Jupiters durch giftspeiende Austern beschreibt und damit der Erde unliebsame Nachbarn beschert, die uns genauso an die Gurgel wohlen, sondern Jutta bleibt in der Nachbarschaft, sozusagen zu Fuß erreichbar. Schön, das man Gestalten nebenan hat, die irgendwie nicht in ein Weltbild passen werden, in dem man über Kinder, Katzen oder Kokospalmen reden kann, sondern deren Interessen sich auf Geldgier, Futterneid und eine menschenverachtende Arroganz beschränken werden, die man schon als Modeerscheinung bezeichnen könnte. Helen hat die Diagnose „Lungenkrebs“, unheilbar, maximal ein Jahr noch. Der Tod steht auf der Türschwelle, schwingt schon mal den Wetzstein übers Sensenblatt und wartet nur noch auf den letzten Schwanengesang. Eine Situation, mit der Helen nicht wirklich umgehen kann. Wer könnte das? Angstgefühle bestimmen ihr Leben und ihre behandelnden Mediziner sind auch keine wirkliche Hilfe. Stattdessen werden ihr Medikamente verschrieben, die es in sich haben und deren Gebrauch sich bei ihr sehr schnell in Missbrauch wandeln. Die Nebenwirkungen sind verheerend. In dieser Situation trennt sich ihr Freund Sven von ihr, nur hat Helen keine reale Peilung, was wirklich passiert ist. Die Medikamente, eher willkürlich verschrieben, plus einige ermahnende Worte, die wohl das Gewissen des Arztes nicht mehr belasten sollen, als nötig, aber dem Patienten nicht helfen, haben hier ganze Arbeit geleistet.  Jutta Maria hat da harsche Worte der Kritik auf dem Tablett. Helen muss es irgendwann ihrer Familie sagen. Sie verlässt Berlin, fährt ins Saarland und kommt in eine Situation, da wäre man, auch als gesunder Mensch, völlig überfordert. Ihre Mutter ist, wie immer, distanziert. Ihre Schwester hat geheiratet, ausgerechnet noch einen Typen, der als Frauenheld gilt, Jahre älter ist und sich, Gerüchten zufolge, in früheren Zeiten, an Angela, Helens damals bester Freundin, vergangen haben soll. Ein bisschen Frauenprügeln scheint die Knuspernase auch noch schön zu finden. Und von dem ist Kristin auch noch schwanger. Das Haifischbecken wartet auf Nahrung, welche Jutta auch jetzt mit vollen Händen austeilt. Leon wurde gerade ermordet und Helen hat wieder Aussetzer in ihrer realen Wahrnehmung, sieht sich als Mörderin ihres Schwagers und, mittlerweile ist sie auch der Meinung, Sven getötet zu haben. Jutta Maria Herrmann … LIVE. Ihr wollt Thriller lesen? Dann kommt aus der Abteilung für Kinderbücher heraus. Jutta ruft, bestimmt, auch den Notarzt an, wenn Ihr ihn braucht.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-51997-4   297 Seiten  9,99€ (D)   10,30€ (A)

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