BUCHCOVERREZENSION
Svensson.a Wassersarg

ANGELIKA SVENSSON –

Wassersarg

Das erste, was man als Leser mit bekommt, ist, dass Angelika Svensson die Pauke einem öfter um die Ohren, besser auf die Augen, haut, als Joseph Haydn es jemals getan hätte. Schon auf den ersten Seiten wird bemerkbar, das Teil wird ein Knaller. Liegt nicht nur daran, dass sie Langeweile im Morddezernat K1 Kiel verhindern möchte, wo man, verständlicherweise lieber weniger Fälle hätte, als mehr. Sondern auch an einer blumigen Schreibweise, die man, je nach Gemüt von blühend humorvoll bis zu, aber ganz schwarz, sarkastisch einstufen kann. Nach ihren vorangegangen Werken, „Kiellinie“ und „Kielgang“, hat sie sich jetzt den Hattrick geschrieben. Wer hier etwas verpasst hat, ist ganz gut beraten, das, hier und jetzt, zumindest zeitnah nachzuholen. Drei Bücher hintereinander und alle voll knorke. Für den Berliner Leser, wohlgemerkt. Für unsere geschätzten norddeutschen Mitbewohner … sie hat immer einen Handbreit Wasser unter dem Kiel. Ja, das hat sie voll drauf. Und sie geht ab, wie ein Sommergewitter. Lisa Sanders darf sich in ein Getümmel stürzen, dass es in sich hat. Gut, sie muss das tun, sie ist ja die Hauptfigur. Frau Svensson kennt keine Gnade für überarbeitete Polizisten, die obendrein von unserer demokratischen Staatsform auch noch im Stich gelassen werden. Aus denen jeder Anwalt noch Hackfleisch macht, wenn auch nur ein kleinster Verfahrensfehler ruchbar wird. Wobei sie auch noch eine Diskussion anstrebt, wie gehen wir, mit uns, und Straftätern um, die wir, Macht unserer Wassersuppe eh schon vorverurteilt haben. An diese Thematik heranzugehen, gerade wenn es um Pädophile geht, die Kinder nicht nur vergewaltigen, und damit als menschliche Seele brechen können oder, eher und, auch werden, sondern auch noch ermorden, und damit einem entstehenden Leben ein Ende bereiten, das keine Seele verdient hat. Ein Thema, an dem sich alle Geister scheiden werden. Angelika wirft sich hier, aber richtig mutig, in eine Bresche, der wir eher hilflos gegenüber stehen, und von unserer „Rechtsprechung“ schnöde im Unklaren gelassen werden, und ganz schnell dazu bereit sind, Vorverurteilungen als gegeben hinzunehmen. Nicht hinterfragen. Was sind die Hintergründe. Frau Svensson hat sich alle Mühe gegeben, wirklich so viele Fakten zu beleuchten, wie nur möglich. Alle werden wir, wahrscheinlich, nie bekommen. Carsten Hunold, mutmaßlicher zweifacher Kinderschänder und auch Mörder seiner Opfer (das mutmaßlich könnten wir uns hier auch sparen, ist nur juristische Rumgurkerei, aber leider! „demokratisch“ von Nöten), wird getötet. Nachdem er seine Haftstrafe abgesessen hatte, sehen es einige Leute etwas anders, als der deutsche Staat und die Rechtsexperten der EU es sehen wollen, dass der Mann gebüßt hat. Weil sich immer wieder die Frage stellt, was ist mit den Opfern und deren Umfeld, für die hier eine Welt zusammengebrochen ist. Eine Gratwanderung, die noch wirklich keiner gewagt hat. Frau Svensson ist auf einem Konfrontationskurs, der in unserer Literatur seines gleichen suchen dürfte. Sicher ist, Kinderschänder sind nicht so anerkannt, wie BER- oder auch andere Vorstandsvorsitzende, die für ihre menschenverachtende Politik noch richtig Kohle bekommen. Kinderschänder sind somit das Letzte. Überall. Vor allem dann, wenn man durch diese Tatsache andere Vorgänge verschleiern kann. Angelika Svensson hat aber richtig mutige Zeilen vor dem Leser ausgebreitet. Die beiden ersten Teile waren ja schon hammerhart, Teil Drei toppt noch einmal. Lisa Sanders ist zwar diesmal nicht so persönlich gefordert, in dem sie ein Ziel für Kidnapper abgibt, aber ihre Aufgaben, die sich noch stark erweitern werden, im Zuge der Handlung, und ihre persönlichen Probleme dürften sie trotzdem wieder an den Rand menschlicher Kräfte führen. Lisa Sanders ist nicht zu beneiden. Die Mordfälle häufen sich an, so wie im Garten, wenn man den Frühjahrsputz macht, aber wirklich ist kein Zusammenhang erkennbar. Frau Svensson hat zwei Bücher in einem geschrieben. Eines ist ein Wahnsinnswerk, welches richtig unter die Haut geht. Das andere ist ein Werk des Wahnsinns, das uns damit konfrontiert, was in unserer Welt so abgeht, vor dem wir die Augen verschließen wollen, da sie uns ja nicht wirklich tangiert. Erst, wenn wir wirklich betroffen sein würden. Angelika hat den Nagel, zielgenau, auf den Kopf getroffen. Eine Eigenschaft, die sie jetzt auf den Prüfstand stellt und den Leser dazu auffordern wird, ihren geschilderten Tatsachen, keine Ähnlichkeiten mit lebenden Personen natürlich, ins Auge zu sehen. Frau Svensson hat den Vorschlaghammer in die Garage getragen. Sie holt lieber den Panzer raus, um uns an den Augenlidern zu zupfen und postiert, strategisch genau berechnet, auch die Artillerie, um uns, paukenschlagähnlich, zu wecken. Als Joseph Haydn seine Sinfonie mit dem Paukenschlag geschrieben hatte, konnte er von Angelika noch nichts wissen. Hätte er mal eine Zeitreise gemacht.
(Knaur)

ISBN 978-3-426-51899-1  377 Seiten     9,99€ (D)  10,30€ (A)

ANGELIKA SVENSSON – Kielgang – Archiv Juni 2015