BUCHCOVERREZENSION
Keller.i Ungluecksspiel

IVONNE KELLER –

Unglücksspiel

Die Psychopathen sind mitten unter uns. Ivonne Keller macht uns darauf aufmerksam, doch besser mal genauer hinzuschauen. Man könnte ja vieleicht etwas verhindern. Nerina hat ein ziemlich dunkles Geheimnis, das sie hütet, wie ein Fabergé-Ei, und mit ihrem Sohn Mirsad teilt, der sie damit erpresst. Gebürtig im Kosovo, während des Krieges nach Deutschland geflüchtet, hat sie Angst, nach der Aufdeckung wieder abgeschoben zu werden und so macht sie sich zum Handlanger ihres Nachkommens, der kleine Drogengeschäfte macht, sich sonst jedoch nur die Sonne auf den Bauch scheinen lässt. Nerinas Mann Ajdin steht recht hilflos daneben. Er weiß ja nicht wirklich, was da hinter seinem Rücken abläuft. Seine Frau ist nicht besonders informativ. Frau Keller spitzt die Situation genüsslich zu und lässt noch einige Akteure auftreten. Anja vermisst ihren Mann Stefan. Der hat mal schnell sein Haus verkauft, Anja, samt Töchterchen Mina, zum Umzug in eine Bruchbude überredet und ist danach stiften gegangen, aus welchen Gründen auch immer. Anja ist berufstätig und so sucht sie ein Kindermädchen. Nerina wäre schon eine passende Besetzung, trotz des muslimischen Kopftuches. Mina würde nicht protestieren, Nerina hat ja schon mal in ihrer „Höhle“ „Kaffee“ getrunken. Nur hat Großkotz-Sohn Mirsad etwas dagegen, seine Mutter soll ja weiterhin Drogenkurier spielen  und so kommt es zu einem ziemlichen Hick-Hack. Das Ivonne Keller Freude an ihrem Spiel hat, kann man förmlich mitlesen, sie bestimmt ja die Regeln. Man kann die einzelnen Charaktere wunderbar voneinander unterscheiden. Während Anja, trotz aller Widrigkeiten, immer optimistisch in die Welt schaut, ist Nerina immer etwas niedergedrückt. Aber das ist noch nicht alles. Frau Mahler, die Frau von Anjas Vermieter, will unbedingt in ihr altes Haus, das jetzt Anja und Mina als Heimat dient. Sie wurde vor Jahren erpresst und sucht etwas. Und zwar ganz dringend. Noch hört sich alles recht harmlos an, nur hat Frau Keller schon mal die Keule in der Hand. Düstere Wolken ziehen am Horizont auf und so manche Figur, in ihrem Buch, wird mit Dingen konfrontiert, auf deren Erfahrung man lieber verzichten würde. Ivonne macht das aber ganz geschickt. Und man liest weiter, bis zum Ende. Unter Garantie! Was in unserer Umwelt passiert, bekommen wir manchmal nicht mit. Nebenan wohnt ein Psychopath, der Dir ins Gesicht lächelt, sich mit Dir unterhält, über das Wetter, den Hund, den letzten Restaurantbesuch. Nur wenn er Dir den Rücken zudreht, sich unbeobachtet wähnt, begeht er ein Verbrechen nach dem anderen, vorzugsweise an Menschen, die ihm hilflos ausgeliefert sind. Daneben machen Gerüchte ihre Runde, jeder redet über jeden, ohne jedoch wirklich Hintergrundwissen zu haben. Dass Anja bis zum Schluss ihren Optimismus verteidigt, spricht für Frau Keller, die trotz aller Schwierigkeiten und Probleme die sie beschreibt, anscheinend doch noch an das Gute im Menschen glaubt. Aber Wegsehen ist keine Alternative für Ivonne. Sie lenkt, zielgerichtet, den Blick auf Problemzonen, wo man, ganz schnell, an etwas anderes denken möchte. Sie schreibt sehr engagiert und emotionsvoll, emphatisch und bildgewaltig. Man sitzt förmlich zwischen ihren Seiten, man fiebert und liest interaktiv mit. Diese Frau ist einfach genial. Ivonne Keller ist, definitiv, eine Bereicherung für die deutsche Literaturlandschaft.

(Knaur)

ISBN 978-3-426-51883-0  441Seiten    9,99€ (D)  10,30€ (A)