BUCHCOVERREZENSION
Macmillan.g ToterHimmel

GILLY MACMILLAN –

Toter Himmel

Dramaturgie, das man anfängt zu schwitzen. Rachel Jenner geht mit ihrem Sohn und Hund im Wald spazieren, wie schon so häufig, nur jetzt verschwindet Ben spurlos, samt Hund. Dabei wollte der Junge nur zur Schaukel vorlaufen, ein Weg von wenigen Augenblicken, den Rachel ihm geben wollte, damit er, als kleiner Mensch, lernt, eigene Wege zu gehen. Eine Mutter, die ihr Kind auf das Leben vorbereiten will. Naja, war vielleicht doch nicht ganz so. Gilly Macmillan zeigt den Leidensweg einer Mutter, deren Kind sich buchstäblich in Luft auflöst. Gänsehaut ist vorprogrammiert. Die sofort bewerkstelligte Suchaktion bringt fast nichts. Der Hund, schwer verletzt, taucht wieder auf. Die Polizei ist in höchster Alarmbereitschaft und die Ermittlungen beginnen mit einem Höchstmaß an Aktivität, wobei Detective Inspector James Clemo eine zentrale Rolle innehat, und auch gleich eine Pressekonferenz anberaumt, die allerdings nach hinten losgeht. Rachel rastet, vor laufender Kamera, komplett aus. Durchaus verständlich, wenn es auch nicht wirklich hilfreich ist. Eine Mutter, die ihr Kind verlor, ist dann doch etwas anders drauf. Was dann folgt, ist eine Hexenjagd auf Rachel. „Rabenmutter“, „selbst schuld“ … sind noch die harmlosen Anschuldigungen. Die „Freie“ Presse schießt sich komplett auf Ms. Jenner ein, während ihr Ex-Mann John, und Vater von Ben, schon fast glorifiziert wird. Und im Internet kursieren gefährliche Gerüchte und Verleumdungen, bis hin zu Verfolgungsaufrufen. Stalking durch die Pressevertreter und solche, die sich als ähnliches sehen wollen, wird zum Alltag. Gilly Macmillan hat es ziemlich gut drauf, diese Situation mit drastischen Worten zu untermalen. Thriller steht auf dem Cover und es ist einer, der sich richtig gewaschen hat. Psychothriller der Oberklasse, man bekommt Beklemmungen. Seinen Nachwuchs lässt man danach nicht mehr aus den Augen. Die einzige, die man noch in die Nähe seiner Erben duldet, ist die Katze. Sonst ist man schon versucht, Fenster zu vergittern und Türen zu vernageln. Die Informationen, die Gilly einfließen lässt, machen das nicht besser. Und die Arbeit der Polizei geht eher schleppend voran, vor allem auch deswegen, weil man eine undichte Stelle hat, die der Meinung ist, dass Rachel es verdient hat, ihren Sohn zu verlieren. Was mit dem kleinen Racker eigentlich passiert, umschifft man dann recht unkonventionell, indem man es gar nicht erst anspricht. Obwohl hier eigentlich das Wohl von Ben Finch im Vordergrund stehen müsste, macht man alles andere und die Ordnungsmacht steht diesem Chaos recht hilflos gegenüber. Bis man dazu kommt, dem Blog auf die Spur zu kommen, vergeht wertvolle Zeit. Zeit, die Ben nicht wirklich hat. Macmillan gibt sich recht informationsreich, was dazu führt, dass man so manche Errungenschaft der Zivilisation doch mit ganz skeptischen Blicken beäugt und sich fragt, ob so manche unserer Mitmenschen nicht doch atomar verstrahlt sind oder, vielleicht von einem anderen Stern kommen. Hier steht das Leben eines Kindes auf dem Spiel und unsere Umwelt hat nichts Besseres zu tun, sich als genauso dämlich aufzuführen, wie die Große Chinesische Mauer lang ist. Gilly Macmillan reflektiert unsere Gesellschaft mit ziemlich ironischen Tönen und zieht richtig schön vom Leder. Gesellschaftskritik in ziemlich harschen Farben und die Frage dahinter, haben unsere Verstrahlten und Geklonten wirklich so viel Freizeit und Langeweile um sich in moderner Inquisition zu üben? Und vor allem, mit welchem Recht? Gibt es investigativen Journalismus nur noch in Büchern? Während alle anderen Medien völlig austicken und sich zum Handlanger machen lassen, um Schlagzeilen zu produzieren, die eigentlich keiner braucht, sich jedoch gut verkaufen lassen. An die demokratisch und demographisch Verpeilten und Gelangweilten zumindest. Den Betroffenen jedoch, die es ja schon schwer genug haben, Alpträume herauf beschwören. Und vor allem die Aufklärungsarbeit der Polizei massiv behindern, die hier, mehrfach, in andere Richtungen versuchte, zu ermitteln, während, wäre der Blick frei gewesen, andere Resultate erbracht hätten werden können. Gilly Macmillan schreibt sich mal Frust von der Seele und, Leute, glaubt es, wir sind nicht alle so. Und betet für Ben!!!

(Knaur)

ISBN 978-3-456-51747-5  537 Seiten   14,99€ (D)  15,50€ (A)