BUCHCOVERREZENSION
Saintonge.f DolfiUndMarilyn

FRANCOIS SAINTONGE  –

Dolfi und Marilyn

Ob man Tycho Mercier beneiden sollte oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Er ist 50 Jahre alt, geschieden, alleinerziehender Vater seines Sohnes Bruno. Obendrein ist er Professor für Geschichte, mit der Spezialisierung auf den II. Weltkrieg. Die Liebe seines Lebens und Mutter seines Sprösslings, weit jünger als er, hat, nach einer Reihe von Seitensprüngen, in die Scheidung eingewilligt und nur noch relativ losen Kontakt. François beschreibt ein normales Familienbild bei Paris im Jahre 2060. Wie es heute ja auch funktioniert, Hund, Katze, Haushaltsarbeit, seinen Lohn verdienen, den Nachwuchs zur Schule bringen, sich mit der Ex-Frau herumschlagen. Leicht ironisch meistert Saintonge das auch, man liest sich fest. Wie es so in der Zukunft, Gegenwart, passiert, gehen Mutter und Sohn auch mal gemeinsame Wege und dabei gewinnen sie, in einer Supermarkttombola, einen Klon. Den Bruno auch freudestrahlend entgegen nimmt, oh kindliche Freude für einen Jungen, der vom Vater inspiriert, Mutter sagt verseucht, sich für die Geschichte, sprich den II. Weltkrieg interessiert. Sein Klon ist A.H.6. Adolf Hitler, der Parteivorsitzende und Führer der NSDAP und Reichskanzler des Dritten Reichs. Die Nr.6 einer Klonserie, die mittlerweile verboten, eigentlich schon eingezogen und, größtenteils, vernichtet wurde. „Dolfi“, wie Bruno seinen neuen Spielkameraden nennt, ist eine  gesellschaftliche Zeitbombe. Nicht, weil er, als Klon, Ahnung gehabt hätte, wie sein Vorbild brandschatzend durch Europa gezogen ist, im Gegenteil er ist sanftmütig, wie eines der  sedierten Schafe, sondern nur aus dem Grunde, das ihn jemand, aus kommerziellen Gründen hergestellt hat und nun in einem Leben steht, das ihm keiner erklärt hat. Mercier hat Gewissenskonflikte. Soll er den Klon, immerhin atmet der ja selbständig, kann essen und trinken und arbeiten, behalten, zur Freude seines Sohnes, oder ihn abgeben, um einem drohenden Strafverfahren zu entgehen. Wie soll er mit ihm umgehen? François ist ein Meister der Ironie und Satire. Er ist ein Machiavelli des modernen SiFi und gibt sich dem auch recht genüsslich hin, knallt er doch Tycho eine Situation vor den Hals, bei der man erst mal schlucken muss. Sein Nachbar, ein Rentner, macht sich vom Acker, um Hades zu besuchen, und hinterlässt auch ein Klon, Norma Jeane Mortenson, besser bekannt unter Marilyn Monroe. Die Mercier bald die Nächte versüßt. Auch hier ist guter Rat teuer, Norma-Marilyn ist ein illegaler Klon aus dem Paradies für Produktfälschung, Asien. Saintonge strapaziert nicht nur die Lachmuskeln des Lesers, er regt auch zum Nachdenken an. Das Thema ist zwar nicht neu, fällt aber immer wieder hinter den Horizont, weil man sich nicht wirklich Gedanken darüber macht. François stellt die Fragen wieder, „wer“ oder „was“ ist ein Klon? Der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, ist näher als wir denken.

(carl´s books)

ISBN 978-3-570-58537-5  287 Seiten   14,99€ (D)   15,50€ (A)